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Stadtluft Macht Frei

Stadtluft Macht Frei

Titel: Stadtluft Macht Frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Schwarz
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Brand, war die Katastrophe da: ein Inferno, das von Haus zu Haus übersprang, angeheizt vom Heu, Stroh oder Hopfen, die auf den Dachböden zum Trocknen lagerten. Immer wieder wurden so ganze Straßenzüge oder Stadtteile in Asche gelegt. Die Erfurter Peterschronik meldet zum Jahr 1222 einen großen Brand, der die Krämerbrücke und die Breite Straße, die von der Brücke bis zum Platz vor St. Marien führte, vollständig vernichtet haben muss. Zum gleichen Jahr brannte, den Angaben eines süddeutschen Chronisten zufolge, die ganze Stadt Konstanz nieder. 1240 wiederholte sich in der Bodenseemetropole die Katastrophe; die Folgen waren diesmal so schlimm, dass der König den Konstanzer Bürgern sogar die Reichssteuern nachließ.
    Der Schrecken derartiger Ereignisse war den Bürgern noch Jahrzehnte später präsent. Der bedeutende Straßburger Geschichtsschreiber Fritsche Closener berichtet in seiner Chronik detailliert von verheerenden Bränden in seiner Stadt für die Jahre 1280, 1298, 1319, 1343 und 1352. Allein beim Brand von 1298 sollen 355 Häuser zerstört worden sein. 1319 und 1352 befand sich der Brandherd jedesmal in der Sporergasse.
    Als man das Jahr 1319 zählte, da brannte die Sporergasse und der Schneidergraben. Da man aber das Jahr 1352 zählte, an dem fünften Tag nach Sankt Michael (4. Oktober), da entstand ein Feuer in der Sporergasse um die Vesperzeit und brannte bis an die Münze und bis an dieselbe Zeile herab. Und zu derselben Zeit brannte die große Gasse bis an die Pfalz. 1
    |14| Noch heute stockt einem bei der Lektüre dieser Berichte der Atem. Immer wieder musste ganz von vorn begonnen werden, immer wieder standen die Überlebenden buchstäblich vor dem Nichts.
    Nur langsam bemühte man sich durch Bauvorschriften und Brandschutzordnungen um eine Eindämmung des Problems. In einer gemeinsamen Sitzung von Rat und Domkapitel der Stadt Konstanz wurde 1296 beschlossen, dass niemand an seinem Haus über die Straße hinausragende hölzerne Vorbauten – Stuben, Lauben, Gemächer oder Erker – errichten dürfe. In einem nächsten Schritt teilte man die gesamte Stadt in Bezirke ein, in denen jeweils ein Feuerschauer auf ausbrechende Brände zu achten und, im Notfall, weitere Mannschaften zu informieren hatte. Trotzdem: Das Feuer konnte immer kommen, jeden Tag, jede Nacht.
    Bretter und Bohlen auf Schlamm
    Die wenigsten Straßen in einer mittelalterlichen Stadt waren bereits gepflastert; von den holprigen Landwegen, die in die Städte hineinführten, waren die städtischen Hauptstraßen oft kaum zu unterscheiden. Bretter und Bohlen, die den bei schlechtem Wetter schmierigen Grund überdeckten, machten die Ränder notdürftig für den Fußverkehr gangbar. Wo es sie nicht gab, musste man sich mit hölzernen „Trippen“ unter den Schuhen fortbewegen. Straßenkehrer trugen diese Trippen bei ihrer Arbeit wohl ganz grundsätzlich – sonst wäre ihr Schuhwerk bald ruiniert gewesen.
    Nur mühsam setzte sich wenigstens in größeren, reicheren Städten Pflaster für Hauptstraßen und Marktplätze durch: 1331 in Prag, 1368 in Nürnberg, 1399 in Bern. Auf den Straßen lagen Dreck und Unrat, überall. Eine geregelte Abfallentsorgung gab es nicht. Glücklich die Städte, die von einem Bach durchzogen wurden, der, zum Kanal geformt, das Schlimmste fortschwemmen konnte. Auch wenn keineswegs so viel Abfall anfiel wie heute, da man versuchte, das meiste wiederzuverwenden: Die Bürger kippten das, was übrig blieb, einfach vor die Tür. Wir wissen es von den zahllosen Verboten, |15| mit denen Stadträte versucht haben, dem Einhalt zu gebieten. Zumeist vergebens. Auf den Straßen vieler Städte streunten Schweine, wir wissen es aus Chroniken, wir sehen es auf Bildern der Zeit. Die Schweine sorgten zwar einerseits für eine Verminderung der Abfälle, doch ihr Kot sowie alles, was sonst noch herumlag, waren ideale Brutstätten für ansteckende Krankheiten – und gegen eine Epidemie war in einer Stadt, in der man dichtgedrängt zusammenhockte, nur schwer anzukommen.
    Zweifelsohne: Stadtluft machte nicht nur frei, sie stank auch. Oftmals bis zum Himmel. „Stadtluft macht ein bleiches Gesicht“ – auch dieser Satz stammt erst aus der Neuzeit. Aber: Was nicht in den Akten steht, ist dennoch in der Geschichte. Und wie sein Pendant von der freimachenden Wirkung der Stadt trifft auch dieser Satz bereits für das Mittelalter zu. Trotz alledem: Die Städte des Mittelalters wuchsen nahezu ungebremst, der Zustrom an Menschen in

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