Stadtluft Macht Frei
ein Landfremder also, aber das war nicht ungewöhnlich in der damaligen Zeit. Über die Stationen Bamberg und Paderborn hatte sich Anno in der Hofkapelle des Königs hochgedient. König Heinrich III., der Vater Heinrichs IV., wurde auf Anno aufmerksam und machte ihn 1054 zum Propst, also |57| zum geistlichen Vorsteher, seiner Lieblingsgründung, des Stiftes Sankt Simon und Juda in Goslar am Harz. Schon 1056 wurde Anno Erzbischof von Köln. Zielstrebig bemühte er sich in diesem Amt, das mit der Erzkanzlerwürde für Italien verknüpft war, um einen Ausbau der Macht der Kölner Kirche.
Wie stark Annos politische Stellung und sein Machtbewusstsein waren, zeigte sich nach dem Tod Kaiser Heinrichs III: Er entführte kurzerhand den noch unmündigen Sohn des Kaisers, den späteren König und Kaiser Heinrich IV., und übernahm vorübergehend die Geschäfte eines Reichsverwesers im römisch-deutschen Reich. Anno war eine Zeit lang der mächtigste Mann im Reich, beeinträchtigt in seiner Stellung nur von seinem großen Rivalen im Norden, Erzbischof Adalbert von Bremen. Als Heinrich IV. volljährig geworden und Annos führende Position im Reich damit beendet war, warf er seine ganze Kraft auf den Ausbau seiner Herrschaft in Köln. Doch genau hier war jetzt ein Punkt erreicht, an dem es nicht mehr weiterging. Es war eher der Zufall, der ihn lieferte, wie Lampert feststellt – doch wie so oft bei Zufällen waren die Auswirkungen beträchtlich.
Die Beschlagnahmung
eines Kaufmannsschiffes
Gemeinsam mit Bischof Friedrich von Münster, einem alten Freund aus seinen Jugendtagen, hatte Anno das Osterfest in Köln gefeiert. Die Festtage waren vorbei, Friedrichs Rückreise in seine Bischofsstadt Münster stand an. Sie sollte, um es Annos Freund so bequem wie möglich zu machen, per Schiff erfolgen. Für diesen Zweck erhielten die Diener Annos den Befehl, in den Kölner Hafen zu gehen, um ein geeignetes Schiff zu diesem Zweck zu beschlagnahmen. Dies betrachtete der Erzbischof als sein selbstverständliches Recht, es gab keinen Grund für ihn, ein solches Handeln zu rechtfertigen. Prüfend schauten sich die Diener im Hafen um. Da erblickten sie eines, das alle ihre Wünsche zu erfüllen schien. Die Sache hatte nur einen Haken. Es war ein Handelsschiff, das einem Kölner Kaufmann gehörte, und es hatte |59| Waren geladen. Unverzüglich befahlen die Diener, die Waren auszuladen und das Schiff für die Reise fertig zu machen. Als die Knechte des Eigentümers dies verweigerten, drohten die Diener des Erzbischofs mit Gewalt. Die Knechte stoben davon. Sie liefen zum Eigentümer des Schiffes und fragten, was zu tun sei.
Der Eigentümer des Schiffes hatte einen jungen Sohn, der dies alles mitbekam. Der Sohn war in der Stadt gut bekannt: kühn, durchtrainiert, beliebt überall. Zudem wohl eine ausgesprochene Führungsfigur. Er besaß Autorität. Man hörte auf ihn. Mit den Knechten und anderen jungen Leuten aus der Stadt – so viel er in der Hast zusammenbekommen konnte – lief er zum Schiff. Sie verjagten die Diener des Erzbischofs. Jetzt rückte der erzbischöfliche Stadtvogt mit seinen Truppen an. Aber auch diesen Angriff vermochte der Kaufmannssohn abzuschmettern. Beide Parteien schwärmten aus, um nach Unterstützung zu suchen. Wie ein Lauffeuer ging es durch die Stadt: Ein Aufruhr war da! Als Anno davon erfuhr, drohte er umgehend mit schweren Gegenmaßnahmen. Bei der nächsten Gerichtssitzung, so verkündete er voll Zorn, werde er die Aufrührer züchtigen und ihrer verdienten Strafe zuführen.
Die Wut der Kölner gegen ihren Erzbischof
Doch Anno hatte den Ernst der Lage unterschätzt. Keine Frage: Es ging jetzt um sein Leben. Lange aufgestauter Unmut entlud sich. Die Stunde schien da, um sich des verhassten Stadtoberhaupts endlich zu entledigen. Die Aufrührer, die jetzt Verbündete in der ganzen Stadt gewannen, stürmten zum erzbischöflichen Palast. Drinnen speiste Anno gerade mit seinem Freund, dem Bischof von Münster. Ein regelrechter Steinhagel ging auf den Palast nieder – und auch auf diejenigen, die ihn bewachten. In letzter Sekunde vermochten die Wächter des Palastes den Erzbischof aus seiner Pfalz, bevor diese erstürmt wurde, herauszuschaffen und in die Bischofskirche zu bringen.
Lampert macht aus seiner Meinung zu diesem Geschehen kein Hehl: Zur Wut, so meinte er, sei noch Trunkenheit hinzugekommen. |60| Der Teufel sei den Aufständischen hierbei vorangegangen! Der Palast wurde geplündert, vor allem der
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