Stadtluft Macht Frei
bischöfliche Weinkeller zertrümmert, und der Wein lief aus, sodass die Plünderer darin beinahe ertrunken wären, wie Lampert genüsslich und voller Häme darstellt. Der Erzbischof war jetzt also im Dom. Die Türen der Kirche wurden verrammelt und durch schwere Steinblöcke, eilends herangewälzt, gesichert. Mit unverminderter Härte wandten nun die Aufrührer all ihre Aufmerksamkeit dem Dom zu. Mit schweren Sturmböcken versuchte man, als handele es sich um eine zu erobernde Festung, eine Bresche in die dicken Mauern zu schlagen.
Wo war Anno? Wo war der Erzbischof?
Endlich öffneten die Verteidiger der Kirche die Türen. Die Aufrührer, bereit zum Mord, stürmten hinein. Doch wo war Anno? Man suchte ihn überall, in jedem Winkel des Gotteshauses sah man nach, doch vergeblich. Anno hatte sich inzwischen abgesetzt. Über einen schmalen Zugang, der vom Innern der Kirche in einen benachbarten Schlafsaal und von dort in den Vorhof und weiter in das Haus eines Domherrn führte, war er entkommen. Das Haus des Domherrn, das sich direkt an der Stadtmauer befand, war seine Rettung. Wieder stand der Zufall Pate! Nur wenige Tage vor dem Ausbruch des Aufstandes hatte der Besitzer des Hauses, der Domherr, vom Erzbischof die Erlaubnis erhalten, die Stadtmauer bei seinem Haus an einer Stelle zu durchbrechen und sich eine kleine Hintertür anzulegen. Durch diese Tür führte man Anno hinaus. Im Schutz der Dunkelheit, auf Pferden, die man rasch für ihn herbeigeholt hatte, konnten der Erzbischof und die Seinen, ohne dass sie jemand weiter erkannte, entkommen. Anno war in Sicherheit. In der Stadt selbst waren Wut und Enttäuschung darüber groß. Die Städter waren getäuscht worden, sie brauchten einen Sündenbock, einen oder mehrere. Der Aufstand wurde zur Raserei. Ein beliebiger Mann wurde über dem Stadttor erhängt, zur Schmähung des Erzbischofs. Eine beliebige Frau wurde ergriffen. Man beschuldigte sie der Hexerei und stieß sie von der Stadtmauer.
|61| Annos Gegenschlag
Jetzt konnte Anno zum Gegenschlag ausholen. Im Umland der Stadt sammelte er seine Truppen. Nur vier Tage nach seiner Flucht vermochte er die Stadt wiederzugewinnen, ein ungleicher Kampf. Ein hartes Strafgericht traf die Kölner. Anno gab die Stadt zur Plünderung frei. Die Männer des Erzbischofs drangen in die Häuser der Kaufleute und reichen Handelsherren ein und nahmen von dem, was sie hier finden konnten, so viel sie wollten. Wer Widerstand leistete, wurde niedergestreckt.
Mit den Anführern des Aufstandes gab es, mittelalterlichen Rechtsvorstellungen gemäß, kein Erbarmen. Der Kaufmannssohn und einige andere wurden geblendet; das heißt, sie verloren ihr Augenlicht. Andere wurden ausgepeitscht und geschoren; sie waren dadurch entstellt und somit sozial diskriminiert, jeder konnte sich über sie lustig machen. Alle Beteiligten wurden mit schweren Vermögensbußen belegt. Sie mussten einen Eid leisten, dass sie in Zukunft die Stadt für den Erzbischof gegen jedermanns Gewalttätigkeit verteidigen und die aus der Stadt geflohenen Bürger stets als ihre schlimmsten Feinde betrachten würden, bis diese dem Erzbischof Genugtuung geleistet hätten.
Anno hat von seinem Sieg gegen die Aufständischen nicht lange profitiert. Nur wenig später zog er sich in sein Lieblingskloster Siegburg unweit der Stadt zurück, wo er bereits 1075 starb. In einer siebentätigen Prozession, vom 4. bis zum 11. Dezember, wurde der tote Erzbischof noch einmal durch Köln geführt, von Kirche zu Kirche; in Siegburg wurde er schließlich beigesetzt. Die städtische Freiheitsbewegung, die sich in Köln so spürbar gezeigt hatte, war fürs Erste niedergeworfen.
Aber auch das Leben und die Lebensfreude in der Stadt am Rhein hatten einen spürbaren Dämpfer erlitten. Sicherlich hat Lampert – wie bei so vielem – übertrieben, doch im Kern hat er die Auswirkungen der Niederschlagung des Aufstands sicherlich zutreffend gekennzeichnet, wenn er meint:
|62| So wurde die Stadt, noch vor kurzem die volkreichste und nächst Mainz der Haupt- und Vorort aller gallischen Städte, plötzlich fast verödet kaum fassen; wo bisher konnten die, Straßen zeigt sich die jetzt dichten nur Scharen selten ein von Mensch Fußgängern, und ] schauriges Schweigen herrscht an all den Stätten der Lust und der Genüsse. 4
„Die Stätten der Lust und der Genüsse” –
Kritik an der Stadt
Stätten der Lust und Genüsse, des permanenten Weinrausches, der Beeinflussungen durch den Teufel – jenseits
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