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Stadtluft Macht Frei

Stadtluft Macht Frei

Titel: Stadtluft Macht Frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Schwarz
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verständigen, unterhalten, sein Leben verbringen kann. Man hat einfach keine Chance dazu. Es sind zu viele, die hier leben. Die Stadt kennt keine Gnade. Alfred Döblin schildert in seinem Roman
Berlin Alexanderplatz
, einem der Schlüsselromane des 20. Jahrhunderts überhaupt, die Stadt als einen Ort, an dem „kein Pardon gegeben wird“. Auch Döblin redete – in den Worten der Offenbarung – von der Stadt als von der „großen Hure Babylon“.
    Da sitzt am Wasser die große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Gräuel auf Erden. Wie sie da sitzt auf einem scharlachroten Tier und sieben Häupter und zehn Hörner, das ist zu sehen, das musst du sehen. Jeder Schritt von dir freut sie. Trunken ist sie vom Blut der Heiligen, die sie zerfleischt. Das sind die Hörner, mit denen sie stößt, sie kommt aus dem Abgrund und führt in die Verdammnis, da sieh sie an, die Perlen, den Scharlach, den Purpur, die Zähne, wie sie sie fletscht, die dicken prallen Lippen, über die ist das Blut geflossen, damit hat sie getrunken. Hure Babylon! Goldgelbe giftige Augen, wampiger Hals! Wie sie dich anlacht! 6
    |65| Das Kölner Stadtsiegel
    Der Kölner Aufstand 1074 wurde vom Erzbischof und seinen Truppen brutal niedergeschlagen. Die Bürger mussten noch einmal ganz von vorn beginnen. Neue Erfolge im Kampf um die städtische Freiheit kamen langsam. Aber sie kamen. In den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts gelang es der Kölner Bürgerschaft zunehmend eigene Rechte zu gewinnen. Nicht durch einen spektakulären neuen Aufstand, sondern durch das langsame Bohren harter Bretter. Ein (erstmals 1103 belegtes) „Schöffenkolleg“ formierte sich als ein eigener Gerichtsstand, der vom erzbischöflichen Stadtherrn unabhängig war. Seit den 1130er-Jahren bezeichneten sich diese Schöffen als „Senatoren“
( senatores )
. Das Vorbild ist eindeutig. Der Begriff verweist auf das antike Rom und auf jene Schicht, die dort das Sagen hatte.
    Daneben trat eine geschickte Zeichensprache – die Sprache des Mittelalters. Vielleicht schon 1114/19, spätestens aber 1149 legte sich die Kölner Bürgerschaft ein Stadtsiegel zu. Ein Siegel (von lat.
sigillum
) bezeichnet in erster Linie den Abdruck einer entweder geprägten oder geschnittenen Form in eine weiche Masse (entweder Wachs, Metalle oder Lacke), die sich dann erhärtet und die Urkunden, auf denen es angebracht wird, beglaubigt.
    Das Siegel ist während des Mittelalters, einer Zeit, in der viele Menschen weder lesen noch schreiben konnten, das entscheidende Beglaubigungsmittel. Erst in der Neuzeit tritt die Unterschrift gleichberechtigt neben das Siegel, ohne dieses zu verdrängen.
    Ob 1114/15 oder erst 1149: das Kölner Stadtsiegel ist eines der ältesten Europas. Es liegt, zeitlich gesehen, auf jeden Fall vor dem ersten Siegel einer französischen Stadt, das der Stadt Amiens von 1152. Es liegt sogar vor dem ersten lombardischen, das 1155 in Mailand zu finden ist; es liegt sicherlich vor dem aller rechts des Rheins gelegenen deutschen Städte und möglicherweise sogar vor dem Siegel der Kommune Rom, das auf 1148 zu datieren ist. Unter den linksrheinischen deutschen Städten sind die Siegel von Aachen und Mainz höchstwahrscheinlich älter, eine genaue Datierung ist schwierig. Die Siegelführung |66| in Köln ist von Anfang an, wenn auch nicht ausschließlich, so doch mit Beteiligung der Schöffen in Verbindung zu bringen. Es war wenigstens zum Teil bereits ein „Siegel der Bürger“
( sigillum civium
).
    Mainz 1160 – Das Rad wird zurückgedreht
    Ein schauerlicher Mord war geschehen in Mainz. Nicht irgendein Mord, sondern ein Mord am Bischof der Stadt, Arnold von Selenhofen. Bischofsmorde waren keine Seltenheit im Mittelalter, immer wieder hat es diese spezielle Ausprägung eines Attentats gegeben. Doch die Auswirkungen dieses Mordes drehten das Rad der Geschichte zurück.
    Auch im Mainz des hohen Mittelalters hatte es eine kommunale Entwicklung gegeben. Seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert – der Zeit etwa, in der die Kölner erstmals aufbegehrten – wurden die weltlichen und geistlichen Angelegenheit vor einem speziellen Gremium verhandelt, in dem die verschiedensten politischen und sozialen Gruppen der Stadt vertreten waren. Es gab in diesem Gremium Geistliche aus den großen Stiften der Stadt sowie aus den verschiedenen Pfarreien, welche die kirchliche Betreuung der mittelrheinischen Metropole unter sich aufteilten. Es gab Vasallen, Freie und Ministerialbeamte. Aber es gab

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