Stadtluft Macht Frei
ungefähr zeitgleich in vielen anderen oberitalienischen und europäischen Städten ab – manchmal ganz ähnlich wie in Mailand, manchmal aber insofern durchaus anders, als sich die Kommunebildung nicht gegen den Bischof, sondern geradezu unter seinem Schutz vollzog. So zeigt uns die kommunale Bewegung in Europa nicht nur in Oberitalien, sondern in ganz Europa ein insgesamt äußerst vielgestaltiges Gesicht. Doch wie man es auch dreht und wendet, die Kommunebildung führte letztlich zur Freiheit der Bürger einer Stadt, zu ihrer Selbstbestimmung. Kaum jemand hat das hellsichtiger beschrieben als der Franzose Guibert von Nogent 1116.
Kommune, dieses neumodische und ganz üble Wort, heißt, dass die Zensualen den geschuldeten Kopfzins einmal im Jahr entrichten und bei Rechtsverletzungen die gesetzliche Strafe bezahlen, aber von sonstigen Zinsleistungen, wie man sie Hörigen aufzuerlegen pflegt, gänzlich frei sind. 2
|53| Es begann mit einem Kaufmannsschiff –
Der Kölner Aufstand 1074
Einer der berühmtesten kommunalen Aufstände des hohen Mittelalters fand 1074 in Köln statt. Berühmt ist dieser Kampf nicht zuletzt deswegen, weil wir über ihn einen überaus lebhaft und anschaulich erzählten Bericht besitzen. Der Verfasser dieses Berichtes heißt Lampert von Hersfeld. Wohl in den Zwanzigerjahren des 11. Jahrhunderts geboren, wurde Lampert nach einer Erziehung zum Geistlichen 1058 Mönch im Kloster Hersfeld, einer alten und reichen Benediktinerabtei nördlich von Fulda, mitten in der Einsamkeit dichter, undurchdringlicher Wälder, weitab von jeder Stadt. Lampert hat in seinem Leben viel geschrieben: Eine Biografie des hl. Lul, des Gründers des Klosters Hersfeld; ein Gedicht in Hexametern; eine Hersfelder Klostergeschichte. Um 1077 stellte er sein letztes Werk, die Annalen fertig, das durch seine Darstellungskunst, seinen an antiken Vorbildern geschulten Glanz besticht. Die Eindringlichkeit dieses Buches ist so groß, dass man lange gebraucht hat, um den Verzerrungen und Einseitigkeiten der Schilderung auf die Schliche zu kommen.
Lampert stammte aus vornehmem Landadel. Auf dem Land, nicht in der Stadt war er aufgewachsen. Die neue Welt der Städter, der Bürger, der Kaufleute konnte und wollte er nicht verstehen. Nichts als Hohn und Spott hatte er für sie übrig, er machte sich offen lustig über sie. Sie schwingen, so Lampert, nach Verkauf ihrer Waren am Tisch beim Wein und beim Braten gern kriegerische Reden, doch es sei alles hohl, denn vom Kriegshandwerk selber verstünden sie nichts. Auch in dem großen Streit zwischen Königtum und Papsttum, zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt, der in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entbrannte und der die Gemüter der Menschen wie kaum etwas sonst in dieser Zeit erregte, war Lampert auf entschiedene Weise parteiisch. Er hing dem päpstlichen Lager an. Er war, obwohl er dies geschickt zu verschleiern suchte, ein entschiedener Gegner des damaligen Königs des römisch-deutschen Reiches, Heinrichs IV. aus der Familie der Salier, und ein Parteigänger seines großen Gegners, des römischen Papstes Gregor VII., der die Kirchenreform und die Unabhängigkeit |54| der Kirche von der weltlichen Gewalt auf seine Fahnen geschrieben hatte. Auf dramatische Weise erzählt Lampert vom Alpenübergang Heinrichs IV. im strengen Winter 1076/77. Es war der Weg, der Heinrich nach Canossa führte, der ihn als Büßer unter den Papst und die Kirche stellte – der Beginn einer „Entzauberung der Welt“, in der das Königtum an sakralem Glanz ganz entschieden verlor. Das alles hat Lampert auf gekonnte Weise dramatisch ausgeschmückt. Und dramatisch ist auch der Tonfall, mit dem unser Chronist über die Ereignisse, die sich 1074 in Köln zutrugen, zu erzählen anhebt:
Damals ereignet sich in Köln ein Vorfall, der des Mitgefühls und der Tränen aller Guten wert ist, man weiß nicht, ob durch die Haltlosigkeit des großen Haufens oder durch die Machenschaften derer, die am Erzbischof für den König Rache nehmen wollten. Am wahrscheinlichsten ist folgende Vermutung. Die Wormser hatten sich ja bei allen einen gefeierten Namen dadurch gemacht, dass sie dem König im Unglück die Treue bewahrt und den Bischof, der sich zu empören beabsichtigte aus der Stadt vertrieben hatten; diesem bösen Beispiel eiferten nun die Kölner nach. Gleich den Wormsern wollten sie nun ebenfalls dem König einen Gefallen tun. 3
Worauf Lampert hier anspielt, ist die große Umwälzung, zu der es ein
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