Stadtluft Macht Frei
weitaus beliebtesten, weil bequemsten und sichersten Wege überhaupt.
|106| Keine noch so gute Straße auf dem Land kam ihnen gleich. Dennoch gab es dort, wo Flüsse fehlten, wo es über Anhöhen oder ein Gebirge gehen musste, oftmals gar keine andere Möglichkeit als sich auf dem Land fortzubewegen, um das Ziel zu erreichen.
Das mittelalterliche Straßensystem –
mehr schlecht als recht
In der Antike hatte es eine regelrechte Straßen- und Brückenbaupflicht der Untertanen gegeben. Damit war es im Mittelalter zunächst einmal aus und vorbei. Zwar berichten erzählende Quellen der Karolingerzeit, dass Karl der Große zur Vorbereitung seiner Feldzüge die Straßen reinigen und für seine Armee präparieren ließ, doch das waren Einzelmaßnahmen, die sich oftmals nur auf das Beschneiden der Bäume, die in den Weg hineinragten, und das Zuschütten von Löchern beschränkt haben dürften. Erst seit dem Hochmittelalter wissen wir, dass Behörden ganz gezielt in den Straßenbau investiert haben – städtische Behörden. 1330 ließ die Stadt München die Straße nach Süden, in Richtung des heutigen Bad Tölz, ausbessern. 1358 gestattete der römisch-deutsche König und Kaiser Karl IV. der Stadt Nördlingen in einer Urkunde, für den Bau und die Ausbesserung der Wege in und um die Stadt einen Zoll zu erheben. Das Privileg wurde 1417 von König Sigmund erneuert, die Zollsätze wurden leicht erhöht. Solche und ähnliche Maßnahmen beschränkten sich freilich in der Regel auf das unmittelbare Umland der Städte. Um die meisten Wege über einen Radius von etwa 40 bis 50 Kilometern über die Stadtgrenze hinaus war es schlecht bestellt.
Gefahren durch Räuber
Gefahren lauerten überall, nicht nur solche der Natur. Räuber und Wegelagerer machten die Straßen unsicher. Zwar ist es unzutreffend, sich die Wälder und Berge des Mittelalters, durch welche die Straßen führten, voll mit Räubern und zwielichtigem Gesindel vorzustellen. |107| Dafür war schon im Frühmittelalter viel zu viel Herrschaft da. Keineswegs gehörte der Wald im Mittelalter zum Bereich der „leeren“ Natur, für den sich niemand zuständig gefühlt hätte. Im Gegenteil, die meisten Wälder wurden schon seit dem frühen Mittelalter auf eine intensive Weise wirtschaftlich oder auch als eine Art „Erholungsraum“ (für königliche oder adelige Jagdgesellschaften) genutzt.
Völlig menschenleere Wälder waren selten, und gerade hier hatte die Räuberei wenig Sinn. Die Wälder um die Stadt Bern um 1500: Seit Tagen schon, so berichtet anschaulich eine Quelle (die als solche kein Einzelfall darstellt), habe Fridli mit seinem Komplizen im Dickicht gelegen, es sei aber niemand vorbeigekommen, den man hätte ausrauben können – nur Fridlis Frau habe immer wieder mal vorbeigeschaut, um den beiden das Mittagessen zu bringen. Dennoch waren Überfälle auf Reisende keineswegs selten, speziell auf solche, bei denen wirklich „etwas zu holen war“. Im Jahr 1347 kam ein Basler Kaufmann von der Messe in Lyon. Nur noch wenige Kilometer hat er bis zur Heimat, er hat die Türme seiner Vaterstadt bereits vor Augen. Da wird er, kurz vor dem Ziel, von adeligen Buschkleppern überfallen und verliert das, was er mit sich führt: acht Zentner Safran. Es war ein Vermögen; der Kaufmann war ruiniert, der Weg zur Messe nach Lyon, er hatte sich nicht gelohnt. Der wirksamste Schutz, um Überfällen vorzubeugen, war vor allem das Reisen in größeren Gruppen. Doch sicher sein konnte man das gesamte Mittelalter über auf den Wegen eigentlich nie.
Der Wettbewerb um Neubürger
Der Weg der Menschen führte in die Städte! Zwar gab es manchmal auch ein Zurück aufs Land, in die Grundherrschaft, zumindest dann, wenn man dort nicht der Abhängigkeit entronnen war, sondern über eine auskömmliche Situation verfügt hatte. Aber im Ganzen gesehen, war das sicherlich eher die Ausnahme. Die Richtung war eindeutig, und die hieß: in die Stadt. Vom Land in die Stadt oder einfach nur in eine neue, eine andere, eine größere Stadt. Die Städte brauchten und |108| suchten neue Bürger. Man kann von einer regelrechten Einwanderungspolitik reden, in der die Städte miteinander konkurrierten. Es gab freilich große Unterschiede. Bei Kleinstädten und solchen Orten, die im Laufe des Mittelalters relativ spät gegründet worden waren, beschränkte sich der Radius der Zugezogenen oftmals gerade nur auf etwa 20 Kilometer. Größere Städte hingegen warfen ihre Netze weiter aus, sie lockten
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