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Stadtluft Macht Frei

Stadtluft Macht Frei

Titel: Stadtluft Macht Frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Schwarz
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enthauptet werden sollten, die ihren Hauptmann umgebracht hatten. Es gab jedoch zu dieser Zeit keinen Henker in der Stadt. So musste die Vollstreckung des Urteils einem der Söldner anvertraut werden, dem dafür das Leben geschenkt wurde.
    Neben dem Henker ist die Liste der unehrlichen Berufe in der mittelalterlichen Stadt lang. Prostituierte, Barbiere, Bader, Bademägde, Abdecker, Totengräber, Nachtwächter, Turmhüter, sie alle zählten dazu; und noch viele andere mehr, auch die fahrenden Spielleute.
    Die Juden
    Die Juden stellen in der mittelalterlichen Stadt einen Sonderfall dar. Sie gehörten der einzigen nichtchristlichen Religion an, die in den mittelalterlichen Städten Europas geduldet wurde – vor allem deswegen, weil die Juden in ihren heiligen Schriften göttliche Zeugnisse bewahrt haben. Seit der Zerstörung des Tempels von Jerusalem 70 n. Chr. hatten sich die Juden auf ein Leben in der Diaspora, in der „Zerstreuung“, umstellen müssen. Von den jüdischen Fernhändlern im Frankenreich wissen wir, dass sie zum Teil noch Beziehungen zu Juden im Orient besessen hatten, doch in den jüdischen Gemeinden in Deutschland war der Kontakt dorthin völlig abgebrochen. Nach der Zerstörung der jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz, die man als SchUM-Städte zusammenfasst, zur Zeit des Ersten Kreuzzugs (1096–1099), bestanden die größten jüdischen Ansiedlungen in Deutschland in Nürnberg und Erfurt.
    Die jüdischen Gemeinden in Nürnberg und Erfurt zählten um 1300 an die tausend Seelen, was etwa fünf bis zehn Prozent der Gesamtbevölkerung dieser Städte entsprach. Die Juden lebten weitgehend nach eigenem jüdischem Recht, das seine Quellen im Alten Testament hatte. An der Spitze einer jüdischen Gemeinde standen ein Ältestenrat und ein Judenmeister, beraten vom Rabbiner. In vielen Städten – freilich nicht überall – lebten die Juden in speziellen „Juden gassen “, die ganz oder teilweise von Mauern umgeben waren.
    |114| SchUM-Städte
    Der aus den hebräischen Anfangsbuchstaben dieser Städte gebildete Name bezeichnet die Städte Speyer, Worms und Mainz, in denen es im Mittelalter bedeutende jüdische Gemeinden gab, die noch heute den Juden in aller Welt ein Begriff sind. Mainz und Worms waren Zentren jüdischer Gelehrsamkeit. In Mainz lehrte um die Jahrtausendwende Gerschom ben Jehuda (960–1028/40), der von nachfolgenden Generationen den Ehrentitel „Leuchte des Exils“ zugewiesen bekam. Zahlreiche Verordnungen des jüdischen Rechts (Verbot der Polygamie und der Ehescheidung ohne Zustimmung der Frau) sollen auf ihn zurückgehen. Der berühmteste Schüler des Wormser Lehrhauses war der 1040 in Troyes geborene Rabbi Salomo ben Isaak, genannt Raschi. Nach seiner Studienzeit in Mainz und Worms gründete er in seiner Heimatstadt Troyes eine Jeschiwa, das heißt eine Talmudhochschule, die in ganz Europa hohes Ansehen genoss.
    Papst Gregor IX. (1227–1241) hatte es zwar ausdrücklich untersagt, die Juden zu behelligen und zu berauben. Doch in Krisenzeiten, wenn man einen Sündenbock brauchte, half ein päpstlicher Erlass nur wenig. Neben der Beschuldigung der „Hostienschändung“ gab es vor allem die sogenannten Ritualmordvorwürfe. Sie stehen im Zusammenhang mit dem Verschwinden oder mit unaufgeklärten Todesfällen christlicher Kinder. Man beschuldigte die Juden, einen „Ritualmord“ begangen, das heißt, das Kind getötet und das Blut zu rituellen Zwecken missbraucht zu haben – es kam zu Ausschreitungen gegen die örtlichen Judengemeinden, oft mit Dutzenden, ja Hunderten von Toten. Berühmt ist etwa der Fall des „guten Werner“, eines christlichen Knaben, der 1287 in der Stadt Oberwesel am Mittelrhein verschwunden |115| war. In der Verfolgungswelle, die daraufhin entstand, kamen in mehr als 20 Orten am gesamten Mittelrhein über 300 Juden ums Leben. Man hatte seinen Sündenbock gefunden. Schon lange hatte man die Juden als Christusmörder bezeichnet. Aus den Christusmördern waren Knabenmörder geworden. Jetzt wollte man Rache und Vergeltung.
    Der „Schwarze Tod” in Europa
    Zur größten Krise im Zusammenleben von Christen und Juden in den Städten kam es Mitte des 14. Jahrhunderts. Es war die Zeit der großen Pestkatastrophe in Europa, die Zeit des „Schwarzen Todes“. Ein Massensterben fegte über den Kontinent, ein bis dahin nie gekanntes Grauen. Nachdem im Oktober 1347 genuesische, von der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer kommende Handelsschiffe im Hafen von Messina

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