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Stadtluft Macht Frei

Stadtluft Macht Frei

Titel: Stadtluft Macht Frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Schwarz
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in deutschen Wirtshäusern aufhalten! Denn auch hier gibt es ein ähnliches Phänomen zu verzeichnen, was einem deutschen Italienurlauber von heute, der in einer einheimischen Trattoria mit original italienischem Essen sein Paradies findet, unbegreiflich erscheinen muss: Viele Wirtsleute im spätmittelalterlichen Rom waren Deutsche.

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    |111| Außenseiter – Randgruppen der mittelalterlichen Stadt
    B ei allem Bürgerstolz und bei allen Freiheiten, die sich die Bewohner einer Stadt im Laufe des Mittelalters ertrotzten: Lang ist die Liste derer, die in der mittelalterlichen Stadt so krass benachteiligt waren, dass sie im breiten Panorama des städtischen Lebens als Außenseiter, als Zugehörige einer Randgruppe zu bezeichnen sind. Die Zuordnungen sind nicht ganz einfach. Vieles ist hier im Laufe des Mittelalters im Fluss, einer ständigen Neueinschätzung und Neubeurteilung durch die Zeitgenossen unterworfen gewesen.
    Unehrliche Berufe
    Da war zunächst der Henker. Der Henker, der im Nürnberg des Jahres 1467 Niklas Muffel oder derjenige, der in Augsburg 1478 Ulrich Schwarz den Strick um den Hals legte – wir kennen ihre Namen nicht. Wir wissen nur: Sie dürften aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu den angesehensten, jedenfalls kaum zu den beliebtesten Bürgern ihrer Stadt gezählt haben. Die genaue soziale Einordnung der Henker ist freilich schwierig. Sie ist von Stadt zu Stadt und von Zeit zu Zeit höchst unterschiedlich gewesen. Wir wissen, dass es auch durchaus wohlhabende Henker in der mittelalterlichen Stadt gegeben hat, und keineswegs immer und überall gehörten die Henker zu den Randgruppen. Die weitgehende Tabuisierung der Tätigkeit des Henkers war im Ganzen eher ein schleichender Vorgang. In Köln beispielsweise hat noch um das Jahr 1430 der Henker engen Kontakt zu dem in der Stadt hochangesehenen |112| Greven. Solange der Henker es schaffte, seinem Eid gemäß zu leben, war er im damaligen Köln ein geachteter Mann, dem niemand etwas ans Zeug flicken durfte – zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Auch im Köln jener Zeit schon tabuisiert, war allerdings das „Arbeits material “ des Henkers. Seine tödlichen Werkzeuge waren frei auf dem Markt käuflich, sie zu erstehen war in der Regel kein Problem. Nachdem sie der Henker teils aus eigenem Geld, teils mit finanzieller Beteiligung des Greven gekauft und in seinen Besitz genommen hatte, wollte niemand mehr etwas damit zu tun haben. Es führte Menschen vom Leben zum Tod, und der Henker verdiente etwas dabei. Es brachte Unglück!
    War der Kölner Henker – und er war hierin sicherlich keine Ausnahme – um 1430 also noch ein einigermaßen geachteter Mann, so sah es um diese Zeit in anderen Städten schon anders aus. Der Henker war vielfach dazu gezwungen, eine auffällige Kleidung zu tragen, die ihn schon von weitem als Angehörigen dieser Berufsgruppe erkennen ließ. Auf einer Altartafel aus dem Jahr 1483, die in der Johanniskirche in Lüneburg zu sehen ist, hat der Hamburger Maler Hinrik Funhof einen Henker dargestellt, innerhalb einer biblischen Szene, aber mit aktuellem Bezug. Funhof kennzeichnete ihn eben durch diese extrem auffällige Kleidung sowie vor allem durch markante, scharf geschnittene Gesichtszüge, die ihn nicht gerade sympathisch erscheinen lassen. Blickt man in die tiefliegenden Augen, so könnte man sagen: ein brutaler Charakter, ein schmieriger Typ. Jemand, dem man nachts auf einer dunklen Straße nicht begegnen wollte, um den man besser einen weiten Bogen machte.
    Heiraten durfte der Henker – in aller Regel jedoch nur eine Henkerstochter. Selbst ein Mindestmaß an sozialer Integration wie zum Beispiel das Betreten eines Wirtshauses konnte dem Henker untersagt werden, und zwar dann, wenn ein anderer Gast etwas dagegen hatte. Doch selbst, wenn dies nicht der Fall war, wurde dem Henker im Wirtshaus seine Sonderstellung bewusst, denn in der Regel wurde er von den normalen Gästen separiert. Man zwang ihn, an einem speziellen Tisch Platz zu nehmen; der Schemel, auf dem er saß, war dreibeinig.
    |113| Wer wollte schon Henker sein? Wenn er es nicht musste! Wenn er einfach keine andere Wahl hatte, um sich seinen Unterhalt zu verdingen, um sein Auskommen zu sichern. Kein Wunder, dass in manchen Städten des Mittelalters gelegentlich eine Art „Henkermangel“ zu verzeichnen ist. Aus der Stadt Wien wird 1485 berichtet, dass eines Tages, im Morgengrauen, aufgrund eines Urteils des Wiener Stadtrichters, vier böhmische Söldner

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