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Stadtluft Macht Frei

Stadtluft Macht Frei

Titel: Stadtluft Macht Frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Schwarz
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Pariser Mauer etwa 1215 fertiggestellt. Sie umschloss eine Fläche von ca. 250 Hektar – etwa gleichmäßig verteilt auf dem nördlichen wie auf dem südlichen Ufer der Seine – und besaß „immerhin“ eine Länge von 5,3 Kilometern. Die Pariser Mauern waren ca. 10 Meter hoch.
    Mehr als 600 Jahre stand die Kölner Mauer aus dem hohen Mittelalter. Niemals wurde sie – im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin aus der Römerzeit – im Kampf erobert. 1881 schließlich wurde ihr Ende eingeleitet, als mit dem Abriss der Mauer und eines Großteils der Tore begonnen wurde. Sie wurde einfach abgetragen, Stück für Stück. Man brauchte sie einfach nicht mehr. Heute erhalten geblieben sind von den zwölf großen Toren nur die Eigelsteintorburg, die Hahnentorburg, die Ulrepforte sowie die Severinstorburg. Als immer noch eindrucksvolle |100| Zeugen der mittelalterlichen Stadt stehen sie im Kölner Alltag – vom Lärm, vom Verkehr, von der Geschäftigkeit des modernen Menschen umbraust.
    Die Nördlinger Stadtmauer
    Wer sich heute noch ein Bild davon machen will, wie eine mittelalterliche Stadtmauer aussah, kann dies an mehreren Orten tun. Aber wohl an kaum einem Ort gelingt das so gut wie in der bayerisch-schwäbischen Stadt Nördlingen, gelegen inmitten des Rieskraters, einem riesigen, von einem Meteoriten verursachten Einschlagsloch.
    Nördlingen liegt heute abseits aller großen Verkehrswege – wer jemals versucht hat, von den großen Zentren aus die Stadt mit der Bahn zu erreichen, kann ein Lied davon singen. Doch im späten Mittelalter war das anders! Nördlingen lag im Schnittpunkt wichtiger alter Straßen. Und Nördlingen war eine Messestadt. Schon im frühen 13. Jahrhundert wird die Nördlinger Pfingstmesse erstmals erwähnt. Ungeachtet der schier erdrückenden Vormachtstellung der Nürnberger Wirtschaftskraft, entwickelte sich die Nördlinger Messe im Laufe des späten Mittelalters zur mit Abstand größten Handelsmesse Oberdeutschlands. Die Anziehungskraft der Nördlinger Messe beruhte dabei zu einem wesentlichen Teil auf ihrem Termin um Pfingsten. Die Wege waren zu dieser Zeit frei und trocken, und gelegen an einer der großen Hauptachsen des europäischen Handels im Spätmittelalter, die von den wirtschaftlichen Zentren in Flandern um Antwerpen, Gent und Brügge im Norden bis zur Lombardei und dem venezianischen Raum im Süden reichte, kamen Kaufleute und Besucher von weit her, um an ihr teilzunehmen.
    Nördlingen ist urkundlich erstmals um 900 erwähnt. Aus der Oberhoheit des Bischofs von Regensburg brachte Kaiser Friedrich II. die Stadt 1215 an das Reich, die älteste Niederschrift des Stadtrechts datiert von 1290. In den ersten hundert Jahren, nachdem sie die Reichsfreiheit erlangt hatte, wuchs die Stadt räumlich so sehr über den alten Siedlungskern, der heute noch durch den „Alten Graben“ gut erkennbar |101| ist, hinaus, dass 1327 der römisch-deutsche König und spätere Kaiser Ludwig der Bayer den Nördlingern ein „Stadtmauerprivi leg “ erteilte. Die neue Stadtmauer sollte nun auch die Vorstädte umschließen. Um die Baukosten aufbringen zu können, gestattete der König den Nördlingern acht Jahre lang eine außerordentliche Getränkesteuer zu erheben. Es kam, wie es bei Baumaßnahmen solchen Ausmaßes fast immer kam und wie es noch heute keine Seltenheit ist: Die acht Jahre waren vergangen, und ein Ende der Arbeiten war noch nicht in Sicht. So wurde die Steuer stillschweigend weiter eingezogen – auch ohne ausdrückliche Erlaubnis.
    Wer soll das bezahlen? Die Kosten explodieren
    Die Kosten der Mauer stiegen in astronomische Höhen. Sie überstiegen die finanziellen Möglichkeiten der kleinen Stadt bei weitem. Nördlingen war nicht Köln. Um die Baukosten zu senken, verfiel man auf einen Trick: die Schalentechnik. Lediglich die Außen- und Innenwände der Mauern ließ man aus Steinen errichten, den Innenraum füllte man mit Steinen, Kalk, Erde und Lehm an. Aber immer noch fehlte Geld – viel Geld. Um weitere Mittel für den Bau zur Verfügung zu stellen, ließ man kleinere Straftaten durch eine besondere Maßnahme begleichen. Man verpflichtete den Straftäter entweder dazu, für den Bau der Mauer eine Fuhre Sand oder Steine zur Verfügung zu stellen oder bei den Arbeiten mitzuhelfen.
    Man könnte fast meinen, das gesamte Nördlinger Steuersystem des 14. Jahrhunderts sei dem Bau der Mauer untergeordnet gewesen, wie ein Fall des Jahres 1362 belegt: Einen säumigen Steuerzahler verdonnerte man dazu,

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