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Stadtluft Macht Frei

Stadtluft Macht Frei

Titel: Stadtluft Macht Frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Schwarz
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Neubürger von weither an. Umworben wurden von den Städten vor allem Leute, mit denen man wirklich etwas anfangen konnte, also Spezialisten und Facharbeiter, das heißt vor allem Handwerker, die der städtischen Wirtschaft dienlich sein konnten. Einen besonders ausgeprägten Wettbewerb um Neubürger gab es in den Städten Oberitaliens, in denen Textilien hergestellt wurden. Und die Neubürger sollten bleiben! Von der italienischen Stadt Parma weiß man, dass sie bereits 1211 versucht hat, Barchentweber an sich zu binden.
    Neue Bürger, eine möglichste große Zahl an Zugezogenen, das machte eine Stadt attraktiv, machte sie leistungsfähig, schreckte ihre Konkurrenten im Umland ab, vor allem mächtige Territorialherren, die versuchten gegen eine Stadt und gegen die Ausdehnung ihres Territoriums vorzugehen. Deswegen war die Aufnahmepolitik der Städte in vielen Fällen eher liberal. Für Lüneburg, Hamburg und Frankfurt am Main beispielweise ist belegt, dass es hier im späten Mittelalter zu manchen Zeiten weit über 100 Neubürgeraufnahmen pro Jahr gegeben hat. 1342 beispielsweise sind in der Stadt Frankfurt am Main mehrere hundert Personen auf einen Schlag zu Neubürgern gemacht worden, ähnlich im schweizerischen Zürich im Jahr 1440. Dabei handelte es sich zum Teil sogar um Zwangsmaßnahmen. Ganz gezielt versuchte der Rat einer Stadt mit solchen Massenaufnahmen gefährlichen Tendenzen entgegenzuwirken, etwa einer Gefährdung der Wehr- oder Steuerfähigkeit einer Stadt.
    Dennoch gab es, hatte man als potenzieller Neubürger sein Ziel erreicht, durchaus so etwas wie eine Aufnahmeprozedur zu durchlaufen, vergleichbar einem stressigen, mit längeren Wartezeiten verbundenen Behördengang bei einem Zuzug in eine neue Stadt heute. Vier Bücher, die heute im Stadtarchiv der Stadt Salzburg aufbewahrt werden, |109| verzeichnen die Bürgeraufnahmen der Salzachstadt für die Jahre von 1441–1751. In dem ältesten der Bürgerbucher mit den Aufnahmen von 1441–1541 findet man zum 23. Juni 1457 folgenden Eintrag:
    Ebenso ist an diesem Tag ein Mann namens Haintz Kanntzler, ein Krämer und Abenteurer, gebürtig aus dem Ort Schwabach, der in der Nähe der Stadt Nürnberg liegt, unser Bürger geworden. Er hat ein Pfund dafür bezahlt. 1
    Doch solche Bürgerbücher sind problematische Quellen. Was wir hier erfahren, ist letztlich nur die Tatsache der Aufnahme als solcher. Wir wissen nicht, wie lange sich dieser Haintz Kanntzler, der Krämer und Abenteurer aus Schwabach bei Nürnberg, schon zuvor in Salzburg aufgehalten hat, wann er seine fränkische Heimat verlassen hatte. Keineswegs ist jede Neubürgeraufnahme identisch mit einer zeitgleichen oder auch nur zeitnahen Wanderung.
    Betrachtet man das Bild als Ganzes, so scheint es, dass etwa seit 1200 zwischen Europas Ländern ein ständiger Austausch bestand. Alles war in Bewegung, neue Zentren lockten. Nichts bleibt übrig vom Bild eines statischen Zeitalters, als das man das Mittelalter lange Zeit gern gesehen hat. „Du musst wandern!“ – dies etwa könnten sich Handwerkerfamilien damals gegenseitig zugerufen haben. Und so zogen sie aus in neue, andere Städte, oftmals von Verwandten oder Gleichgesinnten informiert und angezogen.
    Die Menschen scheuten auch den Weg ins Ausland nicht, dorthin, wo man nicht ihre Sprache sprach, sondern fremde Laute erklangen. Um 1370 ließen sich deutsche Handwerkergruppen erstmals in den italienischen Städten Venedig, Florenz und Rom nieder. In Rom waren es vor allem deutsche Schuster, die hier ansässig wurden. Warum? Die Antwort ist einfach. Rom, die Stadt der Apostelgräber und der Märtyrerkirchen, war ein wichtiges Pilgerziel, eines der bedeutendsten im europäischen Mittelalter überhaupt. Und der Weg nach Rom war, von Deutschland aus gesehen, weit. Die Annahme durchgelaufener Schuhsohlen am Zielort war mehr als wahrscheinlich. In der |110| Vorhalle von St. Peter schlug ein Mann namens Mattheus Teutonicus seinen Verkaufsstand auf – sein Nachname (lat. Teutonicus, das heißt „Deutscher“) verrät bereits seine Herkunft. Mühelos konnten deutsche Pilger, wenn sie ein „Schuhproblem“ hatten, sich mit dem Mann verständigen. Aber nicht nur deutsche Schuster ließen sich in der Ewigen Stadt nieder. In anderen Handwerkszweigen gab es eine ähnlich hohe Konzentration. Auch die meisten Bäcker in der Tiberstadt im späten Mittelalter waren Deutsche. Wenn also deutsche Pilger nach Rom kamen, konnten sie hier deutsches Brot essen. Und sich

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