Stadtluft Macht Frei
„Erzählen von der Stadt“ gegeben. Die Erzählungen sind unter teilweise sehr verschiedenen Voraussetzungen entstanden, von den unterschiedlichsten Kräften geprägt und beeinflusst worden und haben ein so vielgestaltiges Aussehen, dass es sich kaum durch einheitliche Kriterien bestimmen zu lassen scheint. Was dabei im Ganzen herauskam, ist weniger eine „Stadtgeschichtsschreibung“, die als geschlossener Block in das Gesamtgefüge der mittelalterlichen Historiographie eingefügt werden kann, sondern es sind „Stadtgeschichtsschreibungen“, als deren einheitliches Merkmal offensichtlich nur gelten kann, dass die schreibenden |124| Personen allesamt nach Ordnungen suchten, innerhalb derer sich Vergangenheit und Gegenwart ihrer Stadt begreifen ließen.
Die mittelalterliche Historiographie
„Historiographie“ ist der Fachbegriff für Geschichtsschreibung. Er bezeichnet alle Versuche der Menschen, ihre Gegenwart und Vergangenheit auf eine erzählerische Weise zu erfassen. Als der „Vater der Historiographie“ gilt der Grieche Herodot, der in seinem Werk von den Kriegen der Griechen gegen die Perser erzählt. Die mittelalterliche Historiographie, die in mehrfacher Hinsicht in der antiken Tradition steht und an diese anknüpft, kann im Wesentlichen in drei große Bereiche unterteilt werden: in die „Annalen“, die „Gruppe der Chroniken, inklusive der Historien“ sowie in die „biographische Literatur“.
Der Colmarer Dominikanerchronist
Sucht man nach den Anfängen solcher Stadtgeschichtsschreibungen, so muss man ins 13. Jahrhundert zurückgehen. Dieses Jahrhundert, in dem zwischen 1240 und 1300 in Europa jährlich etwa 300 neue Städte gegründet wurden, war nicht nur eine Hochphase der mittelalterlichen Stadtgeschichte. In dieser Zeit spielen sich auch in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung wichtige Veränderungen ab. Sie beginnen zunächst noch nicht als „Stadtgeschichtsschreibung“, doch sie führen auf sie hin. Greifbar werden diese Veränderungen vor allem in einem Werk: in den schriftlichen Hinterlassenschaften des sogenannten Colmarer Dominikanerchronisten. Wir kennen seinen Namen nicht. Wir wissen nur, dass er 1221 geboren wurde, 1238 in den Orden eintrat, seit ca. 1260 in Basel und seit 1278 im nahen Colmar lebte und um 1305 gestorben ist. Möglicherweise starb er schon früher, um 1296/98; sein Werk könnte dann von einem anderen Mönch des gleichen Ordens fortgesetzt worden sein.
Der Colmarer Dominikanerchronist verzeichnet in seinem Werk das Geschehen rings um ihn herum. Er orientiert sich dabei nach wie vor an dem traditionellen Schema der Annalistik, das heißt, er formt seine Erzählungen nach dem Muster der Jahresberichte, der „Anna len “, so wie sie im frühen Mittelalter auf den Britischen Inseln am Rande der Ostertafeln entstanden waren. Hinter den Zahlenkolonnen dieser Tafeln notierten die Mönche in knapper, eben annalistischer Form das, was sich sonst noch in diesen Jahren an Wichtigem im Kloster und um dieses herum ereignete. Daraus entstand eine eigene Gattung der Geschichtsschreibung, die Annalen. Eines ihrer bekanntesten Beispiele sind die am Hof Karls des Großen entstandenen fränkischen Reichsannalen und ihre Fortsetzungen in den Klöstern St. Vaast, Fulda und St. Bertin. Auch in solchen Annalenwerken konnte städtischen Ereignissen unter Umständen breiter Raum zugemessen werden, das beste Beispiel dafür ist die berühmte Schilderung des Aufstandes der Kölner Bürger gegen ihren Erzbischof Anno in den Annalen des Lampert von Hersfeld – wir haben ausführlich davon gehört. Doch die Stadt ist eher eine Art „Gegenbild“ zu dem, was sonst geschah und dem Annalisten wichtig erscheint. Der eigentliche Gegenstand der Annalen war ein anderer: ein Kloster oder ein Bistum und seine Fährnisse; der Platz dieser Einrichtungen in der göttlichen Weltordnung; das Handeln der Mächtigen.
|125| Der Dominikanerorden
Die Dominikaner haben ihren Namen von ihrem Ordensgründer, dem um 1170 zu Caleruega in Altkastilien geborenen Mönch Dominikus. Sie sind einer der neuen Orden des 13. Jahrhunderts, die aus der Armutsbewegung hervorgegangen sind und die man zusammenfassend auch als „Bettelorden“ oder „Mendikanten“ (von lat. mendicare = betteln) bezeichnet. Der bekannteste Bettelorden ist der Franziskanerorden, benannt nach seinem Gründer, dem hl. Franz von Assisi (1181/82–1226). Die Bettelorden unterscheiden sich von den älteren mönchischen
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