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Stadtluft Macht Frei

Stadtluft Macht Frei

Titel: Stadtluft Macht Frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Schwarz
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die Kölner im Jahr 1372 den Juden auf zehn Jahre wieder einen Aufenthalt in der Stadt. Der Aufenthalt sollte jedoch jedes Jahrzehnt erneuert werden – und so geschah es zunächst auch. Aber im August 1423 beschloss der Kölner Rat, die Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr zu verlängern. Nur ein knappes Beschlussprotokoll ist darüber enthalten, aber keine Begründung, auch keine Dokumentation darüber, die es uns erlauben würde zu sehen, inwiefern über diese Maßnahme möglicherweise gestritten worden ist oder ob dies weitgehend einhellig geschah. Zehn Jahre später hat aber der Kölner Rat darüber ein Rechtfertigungsschreiben verfasst. Es ist adressiert an den damaligen römisch-deutschen König Sigmund, der eine Begründung dieser Politik mehrfach angemahnt hatte.
    Ausführlich haben sich die Kölner in diesem Schreiben „gerecht fertigt “. |118| Man fuhr schweres Geschütz auf, auch rhetorisch gesehen. Man habe befürchtet, so der Rat nach weitschweifigen Erklärungen, warum das Schreiben überhaupt so lange ausgeblieben sei, dass die Juden in den Mauern der Stadt sogenannte „Proselytenmacherei“ betrieben hätten, das heißt, dass sie versucht hätten, Christen zum jüdischen Glauben zu bekehren.

    Wir sahen, dass die Juden versucht haben, etliche einfältige Christenmenschen in ihren, den mosaischen Gesetzen zu unterweisen und sie davon zu überzeugen, dass der jüdische Glaube besser als der christliche sei. Hätten sie damit fortgefahren, dann wäre eine große Verwirrung unter uns Christen entstanden. Wir mussten dies unterbinden. 1
    Man meinte ferner, dass die Juden in Verbindung stünden mit ketzerischen Gruppierungen der damaligen Zeit. Dabei dachte man konkret an die böhmischen Hussiten, die Anhänger des 1415 auf dem Konstanzer Konzil hingerichteten Reformators Jan Hus, die Reich und Kirche damals in große Aufregung versetzten und gegen die regelrechte Kreuzzüge geführt worden sind. Man warf den Juden ferner Wucher vor, das heißt, man beschuldigte sie, für die von ihnen ausgeübte Praxis des Geldverleihens zu hohe Zinssätze zu nehmen. Man meinte weiter, auf andere Mächte der Zeit und entsprechende Maßnahmen dort, etwa auf Mainz und Trier, Rücksicht nehmen zu müssen. Man wollte, so der Rat weiter, die Heiligkeit der Stadt Köln, deren Erde mit christlichem Märtyrerblut durchtränkt sei, nicht durch die Berührung mit Ungläubigen gefährden. Durch die Juden habe eine Entweihung der Heiligkeit der Stadt gedroht.
    Unsere Stadt Köln ist eine der heiligen Stätten der Christenheit. Hier mgibt es viele Stellen, an denen Heilige ihr Blut ihres christlichen Glaubens wegen vergossen haben und die dadurch auf eine besondere Weise ausgezeichnet sind. Wir wollen nicht, dass die Juden diese heilige Erde unserer Stadt mit ihren Füßen entweihen. 2
    |119| Man beschuldigte die Juden zudem der Brunnenvergiftung – ein beliebtes Argument, das gerade während der Pestjahre und danach „Konjunktur“ hatte. Gerade der Vorwurf der Brunnenvergiftung wird vom Rat in seinem Schreiben ganz besonders hervorgehoben, obwohl darüber, wie es heißt, nur gerüchteweise etwas zu vernehmen war.
    Besonders aber deswegen, weil ein Gerücht kursierte, das besagte, dass die Juden die Brunnen und „Pütz“ unserer Stadt vergiftet hätten und dies auch in dem Land um unsere Stadt herum getan haben sollen. 3
    Und man befürchte auch, so der Rat zum Schluss, dass durch die Juden ansteckende Krankheiten in die Mauern der Stadt gebracht würden. Eindeutig rückt das Schreiben religiöse Motive in den Mittelpunkt, daneben aber auch die „Fürsorge“ für die christliche Stadtbevölkerung sowie für die Stadt und ihr Ansehen. Die wahren Gründe dürften freilich eher darin gelegen haben, dass sich seit der Mitte des 14. Jahrhunderts die soziale und wirtschaftliche Stellung der Kölner Juden so verschlechtert hatte, dass es aus Sicht der Mächtigen in der Stadt nicht mehr lohnte, sich noch auf eine besondere Weise für sie einzusetzen. Im Klartext: Die Juden hatten ihre Schuldigkeit getan, die Juden konnten gehen. Die Folgen der Vertreibung 1424 wirkten für Jahrhunderte. Köln blieb ohne Juden bis in die Franzosenzeit, das heißt bis ins späte 18. Jahrhundert. Nur auf der rechten Rheinseite lebten nach 1424 noch Juden. Die jahrhundertelange Geschichte der Juden in Köln, sie sollte für Jahrhunderte zu Ende sein. So „infam“ die Vorwürfe gegenüber den Juden in dem Kölner Schreiben von 1431 auch klingen, man

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