Stadtluft Macht Frei
römisch-deutscher König werden sollte. Die Straßburger Bürger und Rudolf von Habsburg verbündeten sich. Gemeinsam zog man in die entscheidende Schlacht bei Hausbergen. Es war |128| der 8. März 1262. Die bischöflichen Truppen mussten eine vernichtende Niederlage einstecken. Ellenhard war hierbei nicht unbeteiligt, im Gegenteil: Er war es, der als „Kundschafter“
( wartmann
) den städtischen Vortrupp befehligte. Ellenhard war einer der Sieger.
1284 wurde Ellenhard die Leitung des Stiftungsvermögens für den Bau des Straßburger Münsters übertragen. Das Vermögen war bislang vom Domkapitel, der Körperschaft der Domherren einer Bischofskirche, verwaltet worden. Der Übergang der Leitung des Vermögens aus der Hand des Domkapitels in die Hände Ellenhards war von entscheidender Bedeutung – symbolisch wie politisch. Nicht mehr die Straßburger Geistlichkeit, sondern das Bürgertum war nun für den Weiterbau des gewaltigen Gotteshauses, das eine der schönsten und repräsentativsten Kathedralen der Christenheit zu werden versprach, verantwortlich. Der Wind in Straßburg hatte sich gedreht.
Unmittelbar mit diesen Ereignissen verknüpft waren die Anfänge der städtischen Geschichtsschreibung in Straßburg. In den Jahren 1290–1299, wenige Jahre nach seiner Übernahme der Münsterkasse, veranlasste Ellenhard mehrere Autoren zur Abfassung und Überarbeitung historiographischer Aufzeichnungen, die er mit Abschriften anderer zu einem zusammenhängenden Buch vereinigte – dem Ellenhard-Codex. Neben einer Enzyklopädie über Erde, Planeten, Zeitrechnung und weltgeschichtlichen Zeitverlauf, einem Bistümerverzeichnis, Auszügen aus älteren und neueren Annalen, einem naturwissenschaftlichen Text, einer Namenreihe der Ortsbischöfe und einer zeitgenössischen Königsgeschichte enthält das Buch endlich ein Stück Stadtgeschichte, das eigens für diesen Codex abgefasst wurde. Die Verfasser der einzelnen Stücke entstammten mehrheitlich dem Domkapitel sowie dem Dominikanerkonvent; eindeutig überwog unter ihnen also die Geistlichkeit der Stadt. Doch alle, die hier zusammenkamen, waren Straßburger Herkunft. Und derjenige, der sie zusammenzwang, der ihre Texte innerhalb kürzester Zeit zu einem Buch vereinigte, Ellenhard, war Straßburger Bürger.
Stadtgeschichte im Ellenhard-Codex ist vor allem das
Bellum Waltherianum
– die Schilderung der Auseinandersetzungen der Straßburger Bürger gegen Bischof Walter, die schließlich in jener Schlacht gipfelte, in der Ellenhard als Kundschafter gedient hatte. Und so erzählt das Werk von den Versuchen Walters, seine Herrschaft durchzusetzen, indem er die Bevölkerung 1261 gegen die Oberschichten aufwiegelte; es erzählt davon, wie Rudolf von Habsburg im September 1261 unter Glockengeläut in Straßburg einritt und vor der versammelten Bürgerschaft feierlich auf Lebenszeit ein gegenseitiges Bündnis beschwor; es berichtet von den fruchtlosen Vermittlungsversuchen des damaligen römisch-deutschen Königs Richard von Cornwall in diesem Streit; es schildert schließlich die mithilfe überlegener Fußtruppen dem bischöflichen Reiterheer in der Schlacht bei Hausbergen beigebrachte Niederlage sowie die Anerkennung der von den Städtern diktierten Friedensbedingungen durch den Nachfolger Walters auf dem Straßburger Bischofsstuhl. Ellenhard beschreibt in seinem Werk noch nicht die innere Entwicklung der Stadt, er bemüht sich vielmehr ausdrücklich um einen hochmittelalterlichen, an der Heilsgeschichte orientierten Rahmen. Doch der Ellenhard-Codex setzte für die weitere Straßburger Geschichtsschreibung den Rahmen. Johann Twinger von Königshofen und Fritsche Closener, zwei Straßburger Chronisten des 14. Jahrhunderts, konnten hier nahtlos ansetzen. Die Geschichte der Stadt Straßburg entstand.
|129| Das Straßburger Münster
Auf den Grundmauern einer um 1015 begonnenen frühromanischen Kirche, entstand in der Stadt vom 12.–15. Jahrhundert das Münster. Als einen „blassroten Engel“, der über der elsässische Ebene wacht, hat man das Bauwerk aufgrund der Farbe des Materials beschrieben. Besonders die 1277–1318 errichtete Westfassade, die sich als 60 Meter hohe Wand über dem Häusergewirr der Altstadt erhebt, ist ein Meisterwerk, das in der europäischen Kunst kaum seinesgleichen kennt – niemand, der diese Fassade in ihrer ganzen Größe und mit der ganzen Fülle ihres Skulpturenschmuckes von der Rue Mercière aus zum ersten Mal erblickte, ist davon unbeeindruckt
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