Stadtluft Macht Frei
eingelaufen waren, an deren Bord sich tote und sterbende Männer befanden, breitete sich die Krankheit von hier, aber auch von anderen italienischen Hafenstädten wie Genua oder Venedig, in rasender Geschwindigkeit über fast ganz Europa aus. Nur ganz wenige blieben verschont. Der Krankheitsverlauf war erschreckend. Man berichtete von Menschen, die sich gesund ins Bett legten und, noch bevor der Morgen graute, starben. Auch hat es Ärzte gegeben, die sich bei ihren Patienten angesteckt haben und noch vor diesen dahingerafft wurden. Allein in der Stadt Avignon sollen, auf dem Höhepunkt der Ansteckungswelle, täglich etwa 400 Menschen gestorben sein. Die Friedhöfe waren überfüllt, überall. Niemand weiß genau, wie viele Menschen in dieser Zeit an der Pest gestorben sind, doch nimmt man an, dass die europäische Bevölkerung durch die Pestkatastrophe etwa um 20–50 Prozent zurückging.
Im Zuge dieser Pestkatastrophe ist es in vielen Städten zur Ausweisung von Juden gekommen, oftmals jedoch nicht eigentlich als Folge der Pest, sondern zeitgleich mit dem Wüten der Seuche oder sogar noch bevor die ersten Symptome auftraten. Vorangegangen waren diesen Ausweisungen zum Teil grauenhafte Pogrome, selbst in Orten, |116| die von der Pest verschont geblieben waren. Die Juden wurden massenweise ermordet. Im Nürnberger „Memorbuch“, einer jüdischen Quelle, wird von über 300 Gemeinden berichtet, in denen die Juden „erschlagen, ertränkt, verbrannt, gerädert, gehenkt, vertilgt [...] und mit allen Todesarten gefoltert wurden, wegen der Heiligung des göttlichen Namens“. Nutznießer der nun freigewordenen Plätze in den Städten waren schnell gefunden. Nach der Ermordung und Selbstverbrennung der Würzburger Juden 1349 wurde das dortige Judenviertel eingeebnet. Angelegt wurde an der Stelle stattdessen ein regelmäßiger Marktplatz mit einer Kapelle.
Die Kölner Judengemeinde
Zur Ausweisung der Juden kam es damals auch in Köln. Die jüdische Gemeinde in Köln war alt; schon in der Zeit Konstantins des Großen sind Menschen jüdischen Glaubens in der Stadt belegt. Sie hatten sich hier lange einer besonderen Gunst erfreut, so wie sie wohl umgekehrt auf eine intensive Weise am städtischen Leben teilnahmen. Schon aus der Zeit Erzbischof Annos im 11. Jahrhundert lässt sich ein eigenes jüdisches Viertel in Köln belegen. Und es wird berichtet, dass die Kölner Juden in ihrer Synagoge um Anno trauerten – Juden in ihrer Kirche um einen christlichen Bischof!
Während des Ersten Kreuzzugs, der für die jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz eine Katastrophe bedeutet hatte, setzte sich der Kölner Erzbischof Hermann, ein Nachfolger Annos, für die Juden der Stadt ein. Auch in Köln hatte der marodierende, vom fanatischen Prediger Peter von Amiens aufgeputschte Haufen, der dem eigentlichen, von französisch-lothringischen Adeligen geführten Kreuzzug vorausging, schwer gewütet. Das jüdische Viertel ging in Flammen auf, die Synagoge wurde zerstört, auch Kölner Bürger machten dabei mit. Hermann ließ die Kölner Juden wegbringen – in Dörfer des Umlandes und also vermeintlich in Sicherheit. Dort fielen sie jedoch anderen „Kreuzfahrern“ in die Hände. Etwa 200 Kölner Juden verloren dabei ihr Leben.
|117| Dennoch: Den Kölner Juden ging es nach den Schrecken des Ersten und Zweiten Kreuzzugs, die freilich Ausnahmesituationen darstellen, vergleichsweise gut, vielleicht sogar so gut wie nirgendwo sonst in Deutschland. Durch das sogenannte „Judenschreinsbuch“ wissen wir, dass es jüdischen Grundbesitz mitten im Zentrum der Handelsstadt gegeben hat. Es gab in Köln kaum Vorbehalte den Juden gegenüber, weder vonseiten des Erzbischofs noch der Patrizier. Eine der besten Wohngegenden der Stadt, die Laurenzpfarre, wurde den Juden ohne Vorbehalte überlassen. Spannungen ergaben sich freilich durch den Aufstieg der Zünfte. Durch den Charakter der Zünfte als christliche Bruderschaft waren die Juden von den neuen Entwicklungen, die zu einer größeren Beteiligung der gesamten städtischen Bevölkerung am Stadtregiment führten, weitgehend abgeschnitten. Dennoch lebten Christen und Juden in Köln bis etwa zur Mitte des 14. Jahrhunderts weitgehend friedlich zusammen.
Die Vertreibung der Kölner Juden 1424
Doch durch die Pest und die damit einhergehende schwere Wirtschaftskrise, die das gesamte soziale Gefüge der Zeit ins Wanken brachte, war alles anders geworden. Nach der Ausweisung 1349 gestatteten zwar
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