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Stadtluft Macht Frei

Stadtluft Macht Frei

Titel: Stadtluft Macht Frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Schwarz
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sollte bedenken, dass derartige Ausweisungen damals in vielen deutschen Städten geschahen und dass sich die Argumente weitgehend glichen.
    |120| Die Bettler in der Stadt
    Zwischen den Armen oder auch den sozialen Absteigern, die ihr Vermögen – aus welchem Grund auch immer – verloren hatten, und den „eigentlichen“ Randgruppen standen die Bettler. Es geht dabei nicht um die körperlich und geistig Behinderten. Wenn man nicht wie der Mönch Hermann der Lahme im 11. Jahrhundert aus einer adeligen Familie stammte, in ein vornehmes Kloster gesteckt wurde, um dort ein der Wissenschaft gewidmetes Leben zu führen und die Gelegenheit hatte, seine körperlichen Defekte durch geistige Höhenflüge zu kompensieren oder sich sonst niemand aus der Verwandtschaft um einen kümmerte, war es schlecht bestellt – vor allem um die geistig Behinderten. In sogenannten „Torenkisten“ vegetierten diese Menschen vor den Stadtmauern dahin, in „Narrenschiffen“ wurden sie auf dem Rhein ausgesetzt. Es geht um Leute, die kein Geld und keine Güter besaßen, aber immerhin körperlich so bei Kräften und geistig so klar waren, dass sie von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt ziehen konnten, um dort um ein Almosen zu fragen. Das Betteln in einer mittelalterlichen Stadt war zunächst kein Tabubruch, es war allgemein akzeptiert. Dabei spielte eine große Rolle, dass es im frühen Mittelalter als eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche, des Königtums, aber auch der Reichen ganz generell galt, für Menschen, die in Armut lebten, zu sorgen. Man fragte nicht nach den Ursachen von Armut, sondern sah diese als einen unumgänglichen Teil der göttlichen Weltordnung an. Und der Arme war für den Wohlhabenden sozusagen eine Chance, die er sich nicht entgehen lassen durfte. Er bot ihm die Möglichkeit, christliche Barmherzigkeit zu demonstrieren, gewissermaßen ohne größeren Aufwand – nur durch ein einfaches Almosen – ein gottgefälliges Leben zu führen.
    Doch immer mehr gerieten in der mittelalterlichen Stadt die Dinge ins Wanken. Die Anschauungen veränderten sich. Immer häufiger unterschied man zwischen Menschen, die unschuldig in Not geraten waren und sogenannten Nichtsesshaften oder Obdachlosen, die unkontrolliert durch die Gassen streiften. Wer unschuldig in Not geriet |122| und zum Betteln eine offizielle, das heißt durch die städtischen Behörden ausgestellte Erlaubnis besaß, hatte mit einer Randgruppe in der Regel kaum etwas zu tun. Er war „anerkannt“; sein Betteln wurde als eine legitime Form der Erwerbsmöglichkeit angesehen. Eine Urkunde für das Kölner Krankenhospital St. Revilien von 1450 spricht dies klar aus: Die Kranken, so heißt es hier, sollten nur so lange im Spital gehalten werden, bis sie in der Lage seien, in die Stadt zu gehen und hier nach einem Stückchen Brot zu fragen.
    Um die nicht anerkannten Bettler sah es dagegen ganz anders aus. Sie waren ohne Ehre – und demzufolge auch ohne Schutz. Die Ständelehren der Zeit haben ihnen keinen Platz in der mittelalterlichen Gesellschaft zugewiesen. Sie galten als nutzlos, konnten nach Belieben abgeschoben, aus der Stadt getrieben werden. Und so geschah es oft. 1572 – das Mittelalter nach herkömmlicher Epochensetzung war bereits zu Ende – wurden in Köln acht „nackte Buben“, bekleidet nur mit kümmerlichen Lumpen, als „Müßiggänger“ und „Maulenstößer“ von der Polizei zum Stadttor hinausgejagt. Verschiedene Dinge wurden ihnen zur Last gelegt. Der eine soll beim Taschendiebstahl erwischt worden sein. Der andere habe nachts in einem Fremdenhospital logiert und tagsüber gebettelt. Einen Dritten hat man ebenfalls in einem Hospital aufgespürt, ein Weiterer soll vor allem als Kirchenbettler aufgefallen sein – und so weiter und so weiter. Wir kennen ihre Namen: David Röesen von Tournai, Rutger von Gymnich, Johann von Hillesheim, Hanß Jerguleman, Peter Meyer von Béthune, Leonhart Wale aus dem Bistum Lüttich, Leonhardt Junghblueth von St. Vith, Daniel Metz von Weisenheim. Was ist draußen vor dem Tor mit ihnen geschehen? Nahmen sie den Weg in eine andere Stadt? Durften sie an einem neuen Ort auf ein neues Leben hoffen? Oder sind sie, irgendwo auf dem Feld, elendiglich verhungert? Wir wissen es nicht.

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    |123| Erzählen von der Stadt – Stadtgeschichtsschreibungen
    D ieses Buch hat von der Stadt im Mittelalter erzählt. Es kann sich dabei auf eine lange Tradition berufen, denn schon im Mittelalter selbst hat es ein solches

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