Stadtmutanten (German Edition)
haben wir diesen…«
Ben unterbrach ihn: »Seit Tagen!?! Sie meinen, der Scheiß läuft schon seit Tagen?«
Der Arzt schwieg.
»Jetzt werde ich aber langsam sauer! Da laufen seit Tagen um sich beißende Arschlöcher herum und die Bevölkerung wird nicht informiert?«
Seufzend hob der Arzt die Arme zu einer entschuldigenden Geste.
»Es tut mir leid, ich kann und darf Ihnen nichts weiter sagen.«
Ben schnaubte.
»Wie lange haben wir noch?«
»In der Regel ist es eine Frage von Stunden. Wie viele, scheint zu variieren. Jedoch hat sich bisher niemand länger als einen Tag gehalten. Sollten Sie also wider Erwarten morgen um diese Zeit noch normal sein, bitte ich Sie, mich aufzusuchen. Hier habe ich einen Datenerhebungsbogen, den Sie bitte ausfüllen. Daran hefte ich meine Visitenkarte. Meine Name ist Doktor Bayer.«
Schließlich füllte jeder von uns den Bogen aus und dann waren wir wieder auf der Straße. Die Visitenkarte steckte ich in meine Brieftasche. Ich sah Ben an. »Was machen wir jetzt?«
Ben deutete in Richtung Waller Heerstraße. »Meine Unterkunft ist um die Ecke, lass uns erstmal dahin verpissen.«
Seine Pension war tatsächlich nur etwa 100 Meter vom Medizinzelt entfernt. Der Eingang des kleinen Hauses lag direkt an der Waller Heerstraße stadteinwärts auf der linken Seite über einem kleinen Geschäft. Der Besitzer hatte einfach den Rest des Hauses in zwei Gästewohnungen umfunktioniert. Bens Wohnung lag im ersten Stock. Da die andere Wohnung derzeit nicht vermietet war, hatten wir sozusagen sturmfreie Bude. Es würde niemand da sein. Niemand, den Zigarettenqualm im Treppenhaus stören würde. Und natürlich niemand, der unangenehme Fragen stellen würde.
Unsere Wunden sahen in der Tat ungewöhnlich aus. Obgleich Bens Wunde technisch gesehen nur oberflächlich war, wies sie dieselben Symptome auf wie meine. Sie hatten aufgehört zu bluten. Besonders meine Wunde war auffällig gut und schnell verheilt. Zu schnell. Dafür bildete sich ein merkwürdiger grünlicher Rand um die offenen Stellen. Darunter veränderten die anliegenden Adern langsam ihre Farbe wie bei einer Blutvergiftung. Der Prozess war beunruhigend schnell, beinahe beobachtbar.
Mir ging es immer noch mies. Wäre ich allein gewesen, hätte ich mich auf das Bett geworfen und hemmungslos geweint. Aber die Anwesenheit eines anderen heterosexuellen Mannes kann eine sehr disziplinierende Wirkung haben. Also tat ich es Ben gleich, der sich gerade ein Bier aus dem Kühlschrank holte. Ich setzte mich an den Fernsehtisch und griff schon wieder in die Zigarettenschachtel.
»Wir sind erledigt.«
»Ja.«
»Scheiße.«
»Ja.«
»Prost.«
»Prost.«
Solange die Welt noch in Ordnung ist, gibt es immer eine Menge Dinge, die man tun kann. Wenn die ganze Welt in sich zusammengebrochen ist, haben die meisten dieser Dinge auf einmal keine Bedeutung mehr. Da rauchen und Bier trinken allein auf die Dauer keine befriedigende Beschäftigung ist, machten wir das, was einem bleibt, wenn es nichts mehr zu tun gibt: Wir schalteten den Fernseher ein.
Ich rechnete halb mit einer Durchsage, Bewohner von Bremen Walle dürften ab jetzt auch nicht mehr fernsehen. Aber dem war nicht so. Wir hatten direkt in eine Nachrichtensendung geschaltet. Momentan berichtete gerade einer der zuständigen Auslandskorrespondenten über die Lage im Nahen Osten. Dann kam tatsächlich ein Bericht über die Situation in Bremen Walle. Die Informationen waren sehr dünn. Es war von einem Aufstand die Rede und von einem Terroranschlag, in dessen Verlauf ein Teil der Bevölkerung Walles und Gröpelingens mit einem biologischen Kampfstoff infiziert wurde. Die Hintermänner des mutmaßlichen Anschlags wurden natürlich in der islamischen Gemeinde Gröpelingens vermutet. So ein Blödsinn. Wenn es überhaupt fanatische Islamisten im hiesigen islamischen Kulturverein gab, warum um alles in der Welt sollten sie dann einen Terroranschlag durchführen, der gerade die eigenen Familien und Nachbarn traf? Gab es nicht geeignetere Ziele dafür? Ziele, in denen vermeintliche Feinde des Islam zu erwarten wären? Eine US-Militärbasis vielleicht? Ein internationaler Flughafen? Das Kanzleramt? Warum einen Stadtteil angreifen, in dem traditionell Arbeiter gelebt haben und dessen angrenzende Stadtteile hauptsächlich von Menschen mit Migrationshintergrund bevölkert waren, von denen ein Großteil unter der Armutsgrenze lebte?
Nein, dies war kein klassisches Ziel für einen islamistischen
Weitere Kostenlose Bücher