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Stadtmutanten (German Edition)

Stadtmutanten (German Edition)

Titel: Stadtmutanten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Strahl
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ähnliche Funktion, waren allerdings im Detail etwas anders ausgeprägt. Erstens fürchtete ich mich weniger vor dem Tod, als eher vor dieser anderen Existenz, die auf mich wartete. Außerdem hatte ich gar nicht vor, mein Leben umzukrempeln, mir Wünsche zu erfüllen oder gar Gutes zu tun. Ich wollte weglaufen, verdrängen, mich und andere so lange belügen, bis ich nicht mehr lügen konnte.
    »Wir müssen etwas tun.«
    Ben lachte bitter und hob fragend die rechte Augenbraue.
    »Und was möchtest du dagegen tun?«
    »Gar nichts! Aber ich kann hier nicht einfach warten, bis wir uns beide in blutrünstige Monster verwandeln.«
    »Und was schlägst du vor?«
    »Lass uns einen saufen gehen.«
    Ben dachte kurz nach, dann nickte er.
    »OK, klingt gut.« Ben grinste. »Wenn wir schon solche Ekelpakete werden, dann wenigstens mit einem tüchtigen Kater.«
    Zweifelnd schaute er auf seine Hand.
    »Aber so lassen die uns nirgendwo rein.«
    Also durchsuchten wir das Fremdenzimmer nach einem Medizinschrank. In der Küche wurden wir fündig und verbanden Bens Arm mit einer Mullbinde. Mir legten wir auch einen Verband an, falls mir einmal das Hemd hoch rutschen sollte.
    Wir waren gerade im Begriff zu gehen, als es an der Tür klingelte. Ich hatte bereits bewaffnete Soldaten vor der Tür erwartet. Aber vor der Tür stand von allen Personen auf der Welt ausgerechnet Lila, mein Mädchen vom Abend davor. Ich hatte eigentlich keine große Lust, ihr zu begegnen, weil ein Teil von mir noch immer ein schlechtes Gewissen ihretwegen hatte. Ich meine den Teil von mir, der begriff, wie nah ich am Vorabend an einem Ehebruch vorbeigeschrammt war.
    Als ich die Tür öffnete, stand sie zunächst einfach da. Ich dachte schon, sie sei eins von diesen Dingern, doch dann sprach sie.
    »Ihr müsst mir helfen. Bitte!«
    Da zerbrach ihre Fassade und sie brach in Tränen aus. Aber nur kurz. Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie die Tränen abschütteln.
    »Ich kann Sissi nicht so lange alleine lassen.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Sie ist ganz alleine mit ihm!«
    In der Kurzfassung erzählte Lila, was passiert war: Sie und Sissi waren letzte Nacht noch auf einen Absacker in einer Kneipe gewesen, dann nach Hause gekommen und hatten Leon blutend in der Küche vorgefunden. Er hatte eine klaffende Wunde im linken Oberschenkel. Aus der Wunde strömte Blut. Viel Blut. Er weigerte sich, einen Arzt aufzusuchen und ließ sich auch von Sissi und Lila nur bedingt helfen. Er ließ sich von ihnen stützen, während er sich selbst einen Druckverband anlegte. Fragen nach der Herkunft der Wunde wich er nur aus. Schließlich verlangte er, ans Bett gefesselt zu werden. Er bläute ihnen ein, niemand dürfe davon erfahren, sie würden sich damit in Gefahr bringen. Er klinkte sich eine Ladung schwerer Schmerzmittel und schlief wimmernd ein.
    Sissi und Lila hatten daraufhin in Schichten geschlafen und nach Leon geschaut. Als dann die Evakuierung eingeleitet wurde, erinnerten sie sich an Leons Warnung und taten so, als wäre niemand zuhause. Außerdem war Leon ohnehin nicht transportfähig. Also kümmerten sie sich weiter um Leon. Sie versuchten wiederholt, mit ihm zu sprechen, aber er blieb einsilbig, verlangte mal nach einem Glas Wasser, mal nach einer Ladung Tabletten. Nachmittags bekam er Krämpfe und war nicht mehr ansprechbar. Gegen 17 Uhr war er schließlich verstorben. Sissi und Lila wollten dann seine Eltern anrufen und stellten natürlich fest, dass das Telefon tot war. Als sie wieder in Leons Zimmer kamen, lag er nicht mehr im Bett. Stattdessen randalierte er im Badezimmer. Kurze Zeit später jagte er sie bereits durch die ganze Wohnung. Irgendwie hatten die Mädchen es geschafft, sich jeweils in ihre Zimmer zurückzuziehen und hinter sich abzuschließen. Leon versuchte unentwegt, einen Weg hinein zu finden. Da Lilas Zimmer einen Balkon hatte, hatte sie beschlossen, über den Balkon zu flüchten und Hilfe zu holen. Also war sie über den Balkon aus dem dritten Stock über die jeweils darunter liegenden Balkone auf die Straße geklettert. Hinter einem Balkonfenster habe sie einige ihrer heimgekehrten Nachbarn gesehen, die sie jedoch nicht hereingelassen hätten. Da sie sonst niemanden in Walle kannte, sei sie zu der Adresse gelaufen, die Ben Sissi am Vorabend gegeben hatte.
    Als sie schließlich fragte, ob wir ihr nun helfen würden, antworteten wir beide mit »Ja«, ohne uns dafür ansehen zu müssen. Was hatten wir schon zu verlieren? Zu zweit würden wir es schon

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