Stadtmutanten (German Edition)
Darum geh. Geh mit Gott. Du wirst ihn brauchen.«
Ich war noch immer verwirrt deswegen. Tief in Gedanken war ich ohne Umschweife nach Hause gefahren, ohne zu bemerken, dass mehr auf den Straßen los war. Ich hatte sogar einmal ausweichen müssen, als mir ein überraschend agiler Totenmann vor die Motorhaube rannte und dann wieder weg sprang. Später stand ich vor dem Haus, ohne zu wissen, dass ich Gott weiß wie vielen herumschlenkernden Figuren den Weg gezeigt hatte. Hätte ich es bemerkt, hätte ich entsprechende Maßnahmen ergriffen. Aber so hing ich weiter meinen Gedanken nach:
Was bedeuteten Egors Worte? Ich brauchte kein Kokain mehr für die Verwandlung zurück, soviel war klar. Kokain würde vielleicht gar nicht mehr wirken. Ich würde es testen müssen. Die Geschwindigkeit der Mutation machte mir Sorgen. Spontan innerhalb von Minuten, vielleicht nur Sekunden das zu erreichen, was ansonsten Tage gedauert hatte, war gespenstisch. Und es gab keine Möglichkeit, es zu kontrollieren. Doch! Enrico hatte mir einen Weg gezeigt. Und auch Egor hatte mich auf einen Weg hingewiesen, auch wenn ich »geh mit Gott« für keinen besonders hilfreichen Tipp hielt. Der Gedanke an Gott ließ mich an der Haustür noch einmal einen Blick zu Hiobs Wohnung werfen. Und tatsächlich: Peter stand am Fenster und hob die Hand. Ich war versucht, zu ihm zu rennen und ihm zu versichern, dass ich nun keine Drogen mehr nahm, nur um den Freund zurückzubekommen, den ich glaubte, verloren zu haben. Ich entschied aber, dass ein Neuanfang vielleicht behutsam verlaufen musste, dass Abtasten bei Freundschaften manchmal besser war als die Brechstange. Also winkte ich zurück und nickte Peter zu, der es mir gleich tat. Der Termin für unser Wiedersehen war verschoben. Aber es sollte nicht mehr allzu lang dauern, wie sich später herausstellte.
Als ich das Haus betrat, fand ich es merkwürdig ruhig vor. Keine Musik, keine Stimmen, keine Geräusche. Sollten die drei noch immer schlafen? Ich beschloss, zunächst die Turteltauben aus meiner Wohnung zu vertreiben und dann dort in stiller Einsamkeit die Ereignisse des Tages zu verarbeiten. Ich bemerkte, dass Lilas Affäre mit Eric mir wirklich nichts ausmachte. Vielleicht war sie bei ihm sogar besser aufgehoben. Ich hatte sie nie geliebt, aber sie war ein nettes Mädchen. Ein Teil von mir war sogar erleichtert. Erleichtert, weil ich nun definitiv aufhörte, meine Frau zu betrügen; erleichtert, weil ich nun die Affäre nicht mehr selbst offiziell beenden musste. Eine von mir ganz nach hinten verdrängte Stimme ergänzte, dass mir auf diese Weise auch erspart bliebe, eines Tages in der nahen Zukunft dem Mädchen gegenüber zugeben zu müssen, ihrem sexuellen Hunger nicht mehr zu genügen. Als ich vor meiner Haustür im Obergeschoss stand und meinen Schlüssel zückte, horchte ich kurz an der Tür. Ich hörte leise Geräusche, die ich nicht zuordnen konnte. Sexgeräusche? Nicht auszuschließen, nach meinen Erfahrungen mit Lila aber unwahrscheinlich. Ich kannte inzwischen ihr Repertoire und hatte am eigenen Leib erfahren, wie sie ihre Vorlieben vehement einforderte. Die zu hörenden Geräusche passten nicht ins Bild. Ich war alarmiert. Ich öffnete leise die Tür und trat vorsichtig ein. Die Geräusche schwollen an. Ein feuchtes, saugendes Geräusch begleitet von einem gedämpften, monotonen, nasalen Quäken. »Eeeeeeee…«
Ich erkannte das Geräusch sofort und folgte ihm zum Wohn- und Schlafzimmer, auf alles gefasst, was mich hinter der Tür mit Sicherheit erwarten würde. Vor der Tür spannte ich meinen Körper und riss mit einem Ruck die Tür auf. Als ich in der offenen Tür stand, sah ich alles, was ich erwartet hatte: Lila lag tot mit eingeschlagenem Schädel auf dem Boden. Über ihrem nackten Körper beugte sich Eric, ebenfalls nackt und ganz offensichtlich mutiert. Wie Leon vor einer gefühlten Ewigkeit recht unbeholfen an Sissi geknabbert hatte, so waren Erics Fressversuche ebenfalls eher linkisch, aber zumindest von etwas mehr Erfolg gekrönt. Vielleicht hatte er es aber auch nur schon länger versucht. In Lilas Körper klafften mehrere Löcher, aus denen Eric seine Nahrung bezog. Ich hatte mich auf einen Kampf eingestellt, aber Eric war wie Leon vor ihm zu sehr mit seinem Mahl beschäftigt. Multitasking schien nicht die Stärke der Neulinge in der Totenmannwelt zu sein. Halb angewidert, halb fasziniert stand ich wie angewurzelt da und beobachtete Eric, wie er sich seinen nächsten Bissen holte.
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