Stadtmutanten (German Edition)
meine Opfer der gierigen Horde.
Ich rannte durch die Straßen, über den Friedhof, durch den Park. Ich lief nach Hause, aber ich lief genauso auch weg. Weg von den Totenmännern, aber vielmehr weg von mir selbst. Es nutzte nichts. Du kannst vor dir selbst wegrennen, aber deiner Schattenseite kannst du nicht entliehen. Als ich an meiner Haustür ankam, hatte ich mich selbst wieder eingeholt. Die Abscheu vor meinem Selbst war wieder da. Wenn überhaupt, war sie stärker als zuvor. Was war aus mir geworden? Wie sollte ich meinen Mitbewohnern gegenübertreten? Menschen, die mir vertrauten. Die zum Teil zu mir aufschauten? Die meinen Schutz suchten. So stand ich vor meiner eigenen Haustür und traute mich nicht hinein.
Schließlich machte Enrico mir auf. Er hatte seine Sachen gepackt und kam mir mit samt Katze entgegen. Er stockte kurz, als er mich sah, nickte mir dann freundlich zu. Irgendetwas lag in seinem Blick. Bedauern vielleicht, vielleicht auch etwas Mitleid, wer weiß.
»Hi Marek. Ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass du zurückkehrst. Die anderen übrigens auch nicht.«
Ich deutete auf seine Sachen. »Und nun gehst du?«
»Ja. Ich hätte es mir fast noch einmal überlegt, als ich dich gerade in der Tür gesehen habe. Aber nein, mein Entschluss steht. Ich ziehe in den Proberaum, bis das hier alles vorbei ist.«
»Warum willst du weg?«
»Hilf mir beim Umzug und ich erzähle es dir im Proberaum.«
»OK, was muss noch gepackt werden?«
»Ist alles schon im Auto.«
»In welchem Auto?«
»In deinem«, gab Enrico etwas beschämt zu. »Du weißt schon, ich dachte, du kämst nicht zurück.«
»Schon OK, willst du jetzt sofort gehen?«
Als Antwort zückte Enrico meinen Autoschlüssel und drückte auf den elektronischen Türöffner. Augenblicklich begrüßte mein Auto uns mit einem fröhlichen Aufblinken. Also stiegen wir ein und fuhren Enricos Zeug zum Proberaum. Er hatte sich seinen Anteil an Lebensmitteln und sanitären Gegenständen, das Katzenfutter, einen Teil des Kokains und etwas Gras mitgenommen. Er meinte es also ernst, er würde nicht wieder ins Haus zurückziehen.
Als wir alles eingepackt hatten, untersuchten wir zunächst den Bunker und stellten fest, dass wir allein waren. Enrico ließ Marlene durch die Gänge streifen, während wir uns im Proberaum bei einer Tasse Kaffee hinsetzten.
»Also, was stimmt nicht im Haus, dass du ausziehen musst? Habt ihr euch verkracht?«
Enrico sah mich ernst an.
»In dem Haus stimmt nichts mehr. Verkracht? Nein. Aber die spinnen alle. Wir sind keine Einheit mehr. Da ist kein Zusammenhalt mehr. Die Gruppe ist zerbrochen. Keiner kümmert sich um den Anderen, keiner nimmt seine Aufgaben wahr. Außer mir, darum gehe ich.«
»Was genau ist geschehen?« Ich wunderte mich wirklich, was hatte in nur zwei Tagen den Zusammenhalt erschüttert?
»Es fing mit Lila an«, seufzte Enrico. »Sie dachte, du bist für immer weg und hat sich Eric an den Hals geschmissen, um sich zu trösten und vielleicht auch, um sich zu rächen. Die beiden ficken die ganze Zeit in deiner Wohnung, sorry.«
Ich winkte Enricos Entschuldigung weg. Außerdem hatte ich größere Probleme als die Tatsache, dass die Frau, die ich eigentlich gar nicht wollte, nun jemand anderen vögelte.
»Nun ja, Marty ist seitdem deprimiert und sauer, weil Lila ihm den Freund gestohlen hat. Er kifft und säuft sich blöd und benimmt sich asozial. Er hat mich sogar beklaut. Eins meiner T-Shirts fehlt. Er hat das natürlich bestritten, es stimmt aber, ich habe ihn dabei gesehen. Das war der Auslöser. Ich habe gewartet, bis alles ruhig war. Als alle schliefen, habe ich meine Sachen gepackt und dich draußen getroffen.«
Ich nickte. Enrico sah mich bohrend an. Ich machte eine fragende Geste: »Was ist?«
»Jetzt du.«
»Was, jetzt ich?«
Enrico lächelte.
»Du weißt nun meine Geschichte. Jetzt erzählst du mir deine.«
»Warum glaubst du, dass es da soviel zu erzählen gibt?«, wich ich aus.
Enricos Lächeln wich einem besorgten Gesichtsausdruck.
»Marek. Du bist losgezogen, um die Welt zu retten. Jetzt bist du zurück und siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
Verdammt, Enrico war unheimlich. Oder war ich ein derart offenes Buch?
»Komm schon, mein Freund, was ist dir passiert?«
Er sah mich freundlich auffordernd an. Ich seufzte. Was soll’s? Das Scheitern meines Plans würde er ohnehin bereits erraten haben. Also konnte ich ihm ruhig alles erzählen. Würde mir vielleicht gut tun. Also
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