Stählerne Schatten
Freeman jedoch geflissentlich übersah. Dann stellte Sahin fest, daß es hier keinen Stuhl für ihn gab. Dies würde offenbar kein freundschaftliches Gespräch in entspannter Atmosphäre werden.
Der Geschäftsmann und Professor Tahir Sahin gehörte zu jener seltenen, außergewöhnlichen Spezies Mensch, der weltweit für alle Regierungen unentbehrlich ist: ein sprachgewandter, weitgereister, hochgebildeter Mann, der im Konfliktfall beiden Seiten als Mittelsmann willkommen war und so eingesetzt wurde. Sahin stammte aus einer Familie türkischer Großgrundbesitzer, die den Ayatollah Khomeini im Jahre 1963
bei sich aufgenommen und beschützt hatte, als er über die Türkei ins irakische Exil gegangen war. Der junge Tahir Sahin hatte Khomeini in die den Schiiten heilige Stadt Najaf im Irak begleitet und war mehrere Jahre als Dolmetscher und Leibwächter an seiner Seite geblieben.
Sahin hatte die Verwandlung Khomeinis und das Entstehen seiner Vision von einer weltweiten islamischen Revolution aus nächster Nähe miterlebt und sich im Lauf der Zeit von Khomeinis glühender Leidenschaft anstecken lassen. Als Khomeini im Jahre 1978 aus dem Irak ausgewiesen wurde und nach Frankreich ging, war Sahin in die Heimat zurückgekehrt und hatte in der Türkei und auf seinen Geschäftsreisen auch im Ausland eifrig die Botschaft von Khomeinis bevorstehender islamischer Revolution verkündet. Nach Khomeinis triumphaler Rückkehr in den Iran und der Ausrufung der Islamischen Republik war Tahir Sahin viele Male sein Ehrengast gewesen.
Mit seinem türkischen Reisepaß und seinen von Khomeini persönlich unterschriebenen iranischen Ausweispapieren konnte Sahin sich weltweit ungehindert und sicher bewegen.
Seinen wahren Wert hatte Tahir Sahin nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehurigen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Irak als Folge der Belagerung der US-Botschaft in Teheran im Jahre 1979 bewiesen. Sahin hatte die Geheimgeschäfte »Waffen gegen Geiseln« mit den Vereinigten Staaten eingefädelt, die den Iranern nützten, und auch dazu beigetragen, daß britische, französische, italienische und amerikanische Geiseln, die im Libanon von pro-iranischen Radikalen festgehalten wurden, ebenfalls freikamen. Obwohl Sahin nicht beim US-Außenministerium akkreditiert war, fungierte er als inoffizieller diplomatischer Kurier zwischen den beiden Regierungen und sorgte dafür, daß die Verbindung zwischen zwei Staaten, die keine Botschaften im jeweils anderen Land mehr unterhielten, nicht abriß.
Nachteilig daran, daß ein pro-iranischer, pro-islamischer Fundamentalist wie Sahin sich ungehindert in Washington bewegen durfte, war jedoch, daß er angeblich einer der stellvertretenden Direktoren einer Organisation war, die sich Niruje Entesami-e Johurije – Institut für Strategische Sicherheitsstudien – nannte. Das ISSS war als iranische »Denkfabrik« in Verteidigungsfragen bekannt, die reiche Nahoststaaten in bezug auf neue Militärtechnologie und neue Strategien beriet; nach weitverbreiteter Überzeugung war es jedoch eine geheimdienstliche Tarnorganisation zur Nachrichtenbeschaffung im Ausland. Wäre Sahin nicht als Kurier zwischen Washington und Teheran unentbehrlich gewesen, hätten die Vereinigten Staaten ihn schon vor Jahren unter Spionageverdacht ausgewiesen.
Philip Freeman war es unangenehm, sich mit einem mutmaßlichen iranischen Spion treffen zu müssen, aber es gab keine bessere Möglichkeit, dem Iran den Ernst der gegenwärtigen Lage vor Augen zu führen.
Tahir Sahin setzte wieder seine freundlich-joviale Miene auf und nickte scheinbar begeistert. »Wirklich eine unerwartete Ehre, von Ihnen empfangen zu werden, General.«
»Ich möchte Sie bitten, Präsident Nateq-Nouri und General Buschasi eine kurze Nachricht zu übermitteln«, sagte Freeman. »Der Präsident der Vereinigten Staaten betrachtet die Versenkung des zivilen Bergungsschiffes Valley Mistress durch die Trägerkampfgruppe Khomeini und die Gefangennahme seiner Besatzung als einen Akt kriegerischer Aggression gegen die Vereinigten Staaten. Der Präsident fordert die sofortige Freilassung der Amerikaner und besteht auf Schadenersatz.«
»Bitte, General Freeman, bitte!« Sahin hob die Hände, als ergebe er sich. »Ich bin nur ein kleiner Geschäftsmann. Ich bin kein Botschafter oder Gesandter irgendeines Landes… «
»Und dies ist keine diplomatische Visite«, unterbrach der Sicherheitsberater ihn. »Ich bitte Sie, eine kurze Nachricht zu überbringen –
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