Stahlhart
das Gleiche oder Ähnliches durchgemacht und haben sich nicht hängen lassen. Du bist nur noch hier, weil du einen guten Ruf hast und ich dich dadurch schützen konnte. Wir hatten sogar Pläne mit dir, wollten dich nach oben ziehen und dir einen Posten in der überregionalen Berichterstattung anbieten, die auch von anderen Zeitungen beachtet wird. Du hättest dir einen Namen machen können. Jetzt ist Schluss. Ehe ich mich durch dich auch in den Strudel ziehen lasse, muss ich dir sagen, du bist kurz vor der Zielflagge. Rainer, wach auf! Ich kann dich nicht mehr lange halten. Du bist ein fescher Bursche, charmant. Es kann doch nicht so schlimm sein. Such dir eine Freundin. Ich hab einen Vorschlag für dich: Nimm eine Woche Urlaub. Überdenke deine Situation und mach was daraus. Danach will ich dich hier in alter Frische sehen, oder wir müssen uns trennen. Du weißt, ein Rauswurf hat fatale Folgen und spricht sich in der Branche schnell rum. Dafür sorgen allein schon die Kollegen. Also stecke die dunkelgelbe Karte ein und fahr nach Hause. In einer Woche sehe ich dich wieder. Übrigens, Jens Goldstein lauert schon auf deinen Job.« Chefredakteur Dr. Koschnick hatte seine Ermahnung beendet.
»Danke, Chef, für Ihr Verständnis.«
»Schon gut. Wir haben dir auch was zu verdanken und du weißt, ich mag dich. Du hattest mal eine Nase. Hol sie dir zurück, und du bist wieder im Geschäft. Also rede nicht lange und hau ab.«
Zwischen den beiden hatte es sich ergeben, dass Dr. Koschnick, als Mentor und väterlicher Freund, Rainer West duzte, während dieser aus Respekt vor der Persönlichkeit und der Position weiter beim Sie geblieben war.
2
Rainer verließ die Redaktion. Obwohl die Kopfwäsche noch relativ glimpflich abgegangen war, hatte sie doch gesessen. Was sollte er tun?
Als Erstes fuhr er in sein Lokal an der Schlachte. Er brauchte dringend Kaffee. Den hatte er zwar auch zu Hause, aber da fiel ihm doch nur die Decke auf den Kopf. Nachdem ihm der Kaffee gebracht wurde, schaute er sich beim langsamen Umrühren im Lokal um. Ihm fiel sofort ins Auge, dass die Dame von gestern wieder da war und in seine Richtung blickte. Er erkannte wieder, wie attraktiv sie war. Das gesamte Erscheinungsbild stimmte, seinem eigenen recht ähnlich. Neben dem hübschen Gesicht konnte er eine Topfigur erkennen. Jedenfalls soweit sie zu erahnen war. Ihre Haltung war gerade und verriet einen gewissen Stolz. Die Kleidung sah apart und nach dem Allerfeinsten aus, obwohl man heute schnell getäuscht werden konnte. An ihren feingliedrigen Händen sah Rainer nur wenig Schmuck, aber der schien ausgewählt. Ein Ehering fehlte. Die ganze Erscheinung stand unter dem Motto ›schlicht, aber elegant‹ und versprühte Flair.
Rainer setzte sein Lächeln auf. Ein Lächeln mit besonderer Wirkung bei Menschen, es war entwaffnend und strahlend. Sein sympathisches Gesicht wurde noch liebenswerter. Er nickte fast unmerklich in Richtung der Schönen und erhielt einen ebenso unauffälligen Gruß zurück.
Rainer gab sich keinen Illusionen hin, indem er glaubte, für diese Frau interessant zu sein. Und wenn, dann höchstens als Kurzzeitlover, zur Befriedigung irgendeiner Laune der Gattin eines gut situierten Mannes. Also vertiefte er sich wieder in seine Gedanken, die ihn automatisch in die dunklen Gefilde seiner momentanen seelischen Verfassung führten. Sein Chefredakteur hatte leicht reden. Wie sollte er innerhalb einer Woche aus seiner Situation herauskommen? Wie konnte er wieder Boden unter die Füße bekommen? Vielleicht über Arbeit.
Rainer entschloss sich, bei der Polizei anzurufen, um nachzufragen, ob irgendetwas Interessantes im Gange war. Sein Ansprechpartner dort war Roland Ernst, seines Zeichens Hauptkommissar im Raubdezernat. Beide hatten schon viele Stunden miteinander verbracht. Rainer griff in die Tasche, dann fiel ihm ein, dass er sein Handy zu Hause hatte liegen lassen. Er stand auf und ging in Richtung Kellergeschoss, wo ein altmodisches Telefon hing, und rief Roland Ernst an.
»Hier Rainer. Du, Roland, ich wollte mal fragen, was sich bei euch tut. Hast du was für mich?«
»Tut mir leid, Rainer. Momentan ist es relativ ruhig. Nur Routinearbeiten stehen an. Kein Kaliber für dich dabei. Aber sag mal, wie geht es dir überhaupt? Habe da ein paar unschöne Dinge über dich gehört.«
»Erst einmal möchte ich dir mitteilen, dass ich mich im Urlaub befinde. Was hast du denn gehört?«
»Na ja, dass du seit deiner Scheidung auf dem
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