Stahlhart
lassen. Zwar konnte er noch ein paar Tage Kaffee trinken, zumal, wenn er sich sonst einschränkte, aber auf Dauer konnte es knapp für ihn werden. Was tun?
Die Woche Urlaub verging für Rainer wie im Flug. Er gewann an Selbstsicherheit, fühlte alte Stärke in sich aufsteigen und war von Glück beseelt. Das Lächeln war in sein Gesicht zurückgekehrt. Sogar in der Zeit, in der er nicht mit Britta zusammen war, bestimmte sie seine Gedanken. Immer wieder wanderten sie zu der neuen Frau.
Ihr schien es nicht anders zu gehen, denn in den Mittagspausen klingelte bei Rainer das Telefon. Oder einfach nur so zwischendurch, wenn Britta die Gelegenheit hatte, anzurufen. Wenn beide sich trafen, geschah es zunächst immer im selben Lokal.
Dann schaffte es Rainer unter dem Hinweis, dass es doch schöner sei, spazieren zu gehen, als in einem vermieften Raum zu sitzen, dass man in den Wallanlagen flanierte oder in den Bürgerpark zog. Beiden gefiel die vermeintliche Einsamkeit. Britta kuschelte sich immer enger an Rainer. Zu mehr kam es jedoch nicht. Vorerst nicht. Rainer hatte Angst, zu weit zu gehen oder etwas zu tun, was Britta vielleicht verschrecken könnte.
Der erste Kuss kam völlig unvermittelt. Am Samstagnachmittag, beim Schlendern im Bürgerpark, besuchten sie das Tiergehege und verweilten einen Augenblick bei den Meerschweinchen. Das niedliche Bild fesselte sie einen Moment. Dicht nebeneinander stehend, beobachteten sie die Tierchen. Dann drehte Rainer seinen Kopf zur Seite, um nach Britta zu schauen, und blickte ihr plötzlich ganz nah in die tiefdunklen Augen. Beide hielten dem Blick lange stand. Langsam näherten sich ihre Gesichter, bis sich ihre Lippen begegneten. Erst zögernd, ja schüchtern fast. Dann fester und mit mehr Druck, bis sich die Lippen öffneten und die Zungen sich fanden. Es schien, als seien beide miteinander verwachsen und könnten sich nicht mehr lösen. Ab diesem Zeitpunkt fanden sich Brittas und Rainers Lippen fast regelmäßig nach wenigen Schritten an romantischen Orten, weil schon lange Minuten vergangen waren. Jeder der Vorbeigehenden konnte das Gefühl zwischen den beiden auf einen Blick erkennen.
Trotzdem ging Rainer nicht mit nach oben, als er Britta am späten Abend zu ihrer Haustür gebracht hatte.
»Lass es uns nicht zu schnell angehen, umso schneller könnte es wieder vorbei sein«, lautete seine Begründung.
Britta respektierte diese Ansicht, zeigte sich sogar anerkennend. Ihr war es recht, wenn Rainer langfristig plante.
3
Am Montag erschien Rainer in der Redaktion voll neuen Mutes. Er wurde sofort ins Büro des Chefredakteurs Dr. Koschnick gerufen. Der musterte Rainer eine Zeit lang argwöhnisch und brachte nur ein Wort heraus: »Erzähl!«
Rainer wusste zuerst nicht, was er sagen sollte. »Ich denke, es ist alles in Ordnung, Chef.«
»Ich will es gern glauben, und vor allem hoffe ich es für dich. Was hast du getrieben?«
»Ganz einfach. Ich habe Ihre Worte in meinem Herzen bewegt und Ihren Rat in die Tat umgesetzt. Natürlich kam mir das Glück ein wenig zu Hilfe. Ich habe eine neue Bekanntschaft gemacht. Die Sache läuft sehr gut, glaube ich. Dadurch bin ich innerlich freier geworden.«
Dr. Koschnick beäugte Rainer immer noch bei jedem Wort, bei jeder Bewegung und versuchte, aus allem zu lesen. Er sah aber auch, dass sich allein schon Rainers Körperhaltung deutlich gestrafft hatte, gegenüber dem letzten Gespräch.
»Okay, hört sich gut an. Wollen wir hoffen, dass es funktioniert und du dich gefangen hast. Also los, mach dich ran.«
Rainer drehte sich ab, um zu gehen. An der Tür angekommen, hörte er seinen Namen.
»Rainer!«
Er drehte sich zu Dr. Koschnick um.
»Ich wünsche dir viel Glück.«
»Danke, Chef.« Mit diesen Worten verließ Rainer das Büro seines Chefredakteurs.
Sofort rief er im Raubdezernat an, um seinem Freund Roland Ernst die Arbeitsaufnahme mitzuteilen. Sonst gab es nichts als den normalen Kleinkram, der nur dazu reichte, in kurzen Artikeln Löcher auf den Lokalseiten zu stopfen: Handtaschenraub, ein Rentner aus Findorff hatte in der Hemmstraße mit einem Luftgewehr auf Haustiere geschossen, Ladendiebstähle. Rainer schaltete den Polizeifunk an. Zwar ist das Abhören verboten, aber wo kein Kläger, da kein Richter. Außerdem gehörte das zu den Grundsatzarbeiten in Rainers Job. Schließlich musste er schnell und frühzeitig reagieren, wenn etwas geschehen war, um vor den Kollegen anderer Medien am Tatort zu sein, falls Roland Ernst
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