Stahlhart
er Roland Ernst vermutete. Er wolle dort nachsehen. Uta Hansen nahm das zur Kenntnis.
»Er wird sich melden, wenn sich seine Ahnung bestätigt«, vermutete sie, leise vor sich hin murmelnd. »Ich kann nur hoffen, dass er nicht unvorsichtig ist und es auf eigene Faust probiert, Ernst zu besiegen, falls der da überhaupt ist. Aber ich kann nicht auf eine Vermutung hin die Kavallerie losschicken und eigene Spuren vernachlässigen.«
Uta Hansen fuhr ins Kommissariat. Dort setzte sie sich am frühen Morgen an ihren Schreibtisch und sah sich die Ermittlungshinweise der Kollegen aus der SOKO an, die in ihrer Abwesenheit eingegangen waren. Sie las Bemerkungen, dass Roland Ernst am Bahnhof gesehen worden sei. Er hatte mit Kollegen der Bahnhofspolizei geplauscht. Wieso macht er das?, fragte sich Hansen.
Sie las weiter, dass Roland Ernst im Reisecenter Fahrten gebucht hatte und zwar in alle Himmelsrichtungen. Passau, Flensburg, Aachen, Freiburg, Stettin. Alles grenznahe Orte, wie die Kommissarin auf den ersten Blick feststellte. Das sah nach Flucht aus. Aber warum in verschiedene Richtungen? Dann ging ihr ein Licht auf: Er will verschleiern, wohin er will. Wir sollen in alle Richtungen ermitteln, Europol einschalten. Das verschafft ihm Zeit. Wir verpulvern unheimlich viel Personal, wenn wir alle Ziele überprüfen, um das richtige herauszufinden. Wenige Leute auf eine Richtung konzentriert, bedeutet mehr Arbeit für den einzelnen und mehr Zeitaufwand. Deshalb hatte er auffällig mit der Bahnhofspolizei gesprochen. Wir sollten erfahren, dass er die Reisen gebucht hat und uns dann aufreiben.
Uta Hansen lehnte sich zurück und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Sie dachte darüber nach, ob Roland Ernst jemals Bemerkungen zu einem Fahrtziel gemacht hatte, ob er eine Region bevorzugte. Wäre er aus Deutschland raus, hätte er enorm an Zeit gewonnen. Der offizielle Weg und bürokratische Kram mit Europol würde dauern. Mit der gewonnenen Zeit hätte Ernst mehr Optionen zur Verfügung, seine Weiterfahrt zu verschleiern. Zum Beispiel von Dänemark mit einem privaten Kutter nach Schweden. Und: Er wurde im Ausland noch nicht gesucht, könnte sich auf Flughäfen oder Bahnhöfen frei bewegen. Er würde wieder seine Reiseziele auffächern, um ein Aufspüren zu erschweren. Österreich, Tschechien, Dänemark, Holland, Belgien, Schweiz, Polen. All diese möglichen Reiseziele sagten ihr nichts in Zusammenhang mit Roland Ernst. Hatte er die Mittel für so etwas? Sollte er eigentlich: Eigene Ersparnisse, etwas Beute von den Banküberfällen und der Post in Harpstedt, Geliehenes, überzogenes Konto, Kredite und, und, und. Die druckfrischen Briefmarken aus Harpstedt hatte er vielleicht auch in einem ihm bekannten Milieu verschachert. Tatsache war, dass Roland Ernst seine Flucht im Vorfeld akribisch geplant hatte. Aber er wusste ja, wie die Kollegen dachten, welche Abläufe der Polizeiapparat durchlief, und konnte danach planen. Als er mitbekam, dass es durch die Überprüfung von Britta Kern eng wurde, hatte er sich abgesetzt. Er saß ja an der Quelle. Er erfuhr als einer der Ersten, wann die Polizei aufdecken würde, dass Britta Kern früher Britta Ernst geheißen hatte und dass das Überlegungen auslöste.
Er hatte also immer noch die Chance, frühzeitig zu reagieren. Höchstens anfangs wäre es zu einer Nachfrage bei ihm gekommen. Er hätte etwas Lapidares geantwortet und wäre verschwunden. Also war Uta Hansens Hinweis auf genaue Überprüfung von Britta Kern sein Startsignal gewesen. Aber Roland Ernst hatte sich Britta geholt. Zu zweit, zumal wenn einer gezwungen wird, ist es schlecht zu verreisen. Wurde Britta Kern gezwungen? Das sollte man mit Ja beantworten können. Sie liebte Rainer West. Das war keine Ablenkung, weil die Unsinn wäre. Also musste Britta Kern gezwungen werden mitzukommen. Unter Drogen? Das würde irgendwann auffallen und wäre keine Dauerlösung. Hatte Roland Ernst Britta bereits getötet? Damit wäre er frei– und töten machte ihm nichts mehr aus. Trotzdem machte das keinen Sinn. Wenn er Britta hätte töten wollen, hätte er das gleich zu Anfang gemacht, ohne den mühsamen Umweg über Rainer. Und jetzt töten, wo Britta in seinen Händen war, machte noch weniger Sinn. Irgendetwas war faul.
Diese Überlegungen ließ Hauptkommissarin Uta Hansen in ihrem Kopf ablaufen.
»Irgendetwas stinkt!«, schimpfte sie laut vor sich hin.
Draußen, vor der offenen Bürotür, zuckte ein Mitarbeiter ob des plötzlichen Ausrufes
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