Stahlhart
sich. Ihnen war klar, dass sie eine Sisyphusarbeit vor sich hatten.
Jens stiefelte in seine Richtung, beäugte von Weitem seinen Anfangsbereich, suchte sich Gebäude raus, die der oberflächlichen Beschreibung zugeordnet werden konnten. Er spähte hinter große Holzrollen, auf denen Stahlbänder aufgezogen waren, um nicht einen Treppengang in einen Keller zu verpassen, blickte in verdreckte Fenster, um das Dahinterliegende zu inspizieren, umrundete Hallen, um nach Eingängen Ausschau zu halten.
Rainer stieg Stahltreppen hinauf, um Räume anzusehen, die im zweiten Stock lagen, duckte sich unter überdimensionalen Stahlrohren durch, die vielleicht Kühlwasser transportierten. In einiger Entfernung füllte ein Bagger Stahlschrott in eine Lore. Überall dampfte und zischte es, wenn Wasser auf heiße Rohre traf, wenn Wasserdampf durch Abluftfilter aus Hallen geführt wurde. Schornsteine bliesen weißen Dunst in den sich aufhellenden Himmel der Dämmerung. Signaltöne schwirrten durch die Luft, das Hämmern von Stahl auf Stahl bereicherte das Industriekonzert.
»Hallo, Jens, schön, dass du mich besuchen kommst. Wie hast du mich gefunden?«
Jens spürte, wie sich ein Revolverlauf schmerzhaft in seinen Nacken bohrte.
»Roland, wie kommt es, dass ich hier auf dich treffe?«, kam die knappe Gegenfrage.
»Ich inspizierte gerade das Gelände und sah nach, ob sich etwas in meine Richtung durch Arbeiter tut. Nun du!«
»Ich mache Fotos für die Geschäftsleitung für eine Imagekampagne.«
Ein Schlag mit dem Revolverlauf ließ Jens’ Kopfhaut aufplatzen. Blut lief über sein Gesicht.
»Ich weiß nicht, wie du hergefunden hast, aber ich kann mir denken, warum du da bist. Ist jemand bei dir? Verarsch mich nicht noch mal, sonst bin ich nicht mehr so freundlich.«
Jens war sofort klar, dass seine einzige Chance jetzt Rainer war. Er musste ihn schützen.
»Roland, ich bin allein. Mir fiel ein, dass du von dir und Britta erzählt hattest, so habe ich mir einiges zusammengereimt.«
»Und wie kamst du darauf, dass ich hier bin?«
»Auch durch eine Bemerkung von dir, als du mal vom ehemaligen Klöckner-Gelände geschwärmt hast, wie sehr dich das fasziniert.«
»War wohl ein Fehler von mir. Bist du wirklich allein?«
»Ich sage es dir doch. Wir haben uns immer vertraut. Wen soll ich denn dabei haben?«
»Polizei oder zum Beispiel Rainer«, antwortete Roland Ernst.
»Du weißt am besten, wie zuwider mir Rainer ist, und mit dem soll ich zusammenarbeiten? Warum? Und Polizei? Die haben mich doch auf der Liste. Wie reagieren deine Kollegen, wenn ich denen als Verdächtiger sage, dass ich nach dir als Täter hier suchen will?«
»Gut, ich glaube dir. Aber warum bist du hier?«
»Story! Ich hatte mir einiges zusammengereimt und dachte, du verschaffst mir eine Story, mit der ich überregional punkten kann. Dann kann ich weg vom ›Weser Boten‹.«
»Hat mich überzeugt. Los geh. Wir vertreten uns mal etwas die Beine, bevor ich dich hereinbitte.« Mit dem Revolverlauf dirigierte Roland Ernst Jens in eine Richtung. »Da lang und bilde dir keine Schwachheiten ein.«
Beide gingen um ein Gebäude herum.
»Dort die Treppe hoch, rechts, da über die Stahlempore und jetzt da rauf!« Mit diesen Worten zeigte Roland auf einen Weg aus Stahlgittern, der direkt oberhalb eines mannshohen Rohres verlief und dessen Verlauf folgte. Das Rohr musste Abwasser führen, da es über kreisrunde Wasserbecken führte, in denen das Kühlwasser des Werkes aufgefangen wurde.
»Stopp«, erfolgte kurz der Befehl.
Die Männer standen direkt mittig über einem Auffangbecken, in dem es noch brodelte und kochte. Schwaden von heißem Wasserdampf hüllten sie ein. Nur der Stahlgittersteg, das mannshohe Rohr und zwei Meter Luftlinie trennten die beiden von der siedenden Wasseroberfläche.
»Was ist? Mir wird langsam warm«, versuchte es Jens Goldstein mit einem saloppem Spruch. »Und die Aussicht ist auch nicht so doll.«
»Dir sollte auch langsam warm werden, mit dem Wissen, mich belogen zu haben. Ich habe nie mit dir über die Faszination des Geländes hier gesprochen. Das war mit Rainer.«
Roland Ernst schlug mit aller Kraft zu. Jens taumelte, sackte in sich zusammen. Roland packte den schlaffen Körper und wuchtete ihn über das Geländer. Jens Goldstein prallte auf das heiße Stahlrohr, rutschte seitlich hinunter und klatschte auf die kochend heiße Wasseroberfläche. Gellende, sich überschlagende Schreie hallten durch die Dämmerung, wurden beim
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