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Stahlhexen

Stahlhexen

Titel: Stahlhexen Kostenlos Bücher Online Lesen
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zum Strand. Über dem Meer türmten sich die Wolken und Möwen hockten auf den Wellenbrechern. Ich ging bis zum Ende der Straße und dann über die Dünen bis zum Stacheldrahtverhau. Dort kniete ich mich hin und schaufelte meine Hände voll Sand.
    Ich hab's doch gewusst, sagte ich. Gleich, als ich ihn das erste Mal sah, hab ich gewusst, wer er ist.
    Von Anfang an wusste ich, dass es schlimm enden würde. Aber ich wusste nicht, dass es so schlimm kommen würde. Dass Sally Colonel Harpkins keinen Moment aus den Augen lässt und immer leise gluckst, wenn er zu ihr rüberschaut. Und dass er diese Worte sagt, die seine Familie über Jahrhunderte überliefert hat, und dass er sie wie ein Gedicht spricht. Die Familie hatte die Worte überliefert, aber ihre Bedeutimg vergessen. Diese verdammte Familie hatte keine Ahnung, was diese Worte bedeuteten. Der reizende Colonel Harpkin kannte die Bedeutung nicht, aber ich kannte sie.
    Ich kann mir gut vorstellen, wie das passiert ist. Seine Familie glaubte, er rede von Engeln, die über seinem Totenbett tanzten. Engel aus seiner alten Heimat Hanchton. Ein paar Generationen später sahen sie ihn schon als Heiligen und stellten sich vor, wie er im weißen Leichen-tuch mit zurückgekämmtem weißen Haar ins ewige Leben geführt wurde.
    Aber ich sehe es anders. Ich sehe, wie er sich schwitzend und vom Fieber gekrümmt auf einem Strohlager windet. Seine Augen sind dunkel und groß, das Gesicht ist bleich und blau geädert. Er starrt an die Decke und sieht dort Wasser, Luft und Erde. Bei der Wasserprobe hat er sie ertränkt, in der Luft hat er sie erhängt und unter der Erde hat er sie zerquetscht. So hat er die Frauen von Hexland getötet. Die tanzten noch immer um ihn herum und betrachteten ihn.
    Ich wusste, dieser Urahn war der nach Amerika geflohene Hexenjäger, und Colonel Harpkin, der nach dreihundert Jahren zu uns zurückgekehrt war, war sein Fleisch und Blut.
    Der Obdachlose hatte sich in einen Ladeneingang an der gegenüberliegenden Straßenseite zurückgezogen und mied ihren Blick. Sie beschlossen, zu Fuß zum Felwell College zu gehen - der Verkehr war bei diesem Wetter so chaotisch, dass sie mit dem Auto kaum schneller wären. Der Wind hatte nachgelassen, doch der Regen prasselte ununterbrochen herab und klang überall anders: Er klopfte gegen die Fensterscheiben, trommelte auf den alten Straßenlaternen und hämmerte auf die Wagendächer. Mia musste lauter sprechen: »Glaubst du, wir werden im Felwell College empfangen?«
    »Vermutlich rechnet die Rektorin sogar mit einem Besuch. Ich erinnere mich an ihre Erleichterung bei unserem letzten Gespräch, als sie merkte, dass ich nicht so recht wusste, wonach Daisy suchte. Möglicherweise zielten Dai- sys Nachforschungen auf einen Aspekt, der mit dem Felwell College selbst zu tun hatte. Die Sache ist wie eine Gleichung. Ein Gelände, das Felwell gehört, und Hadesium aus den Beständen von Felwell. Ein Bellman-Manager und Flug-zeuge der US Air Force. Das Ergebnis dieser Gleichung ist vielleicht eine Art geheimer Luftwaffenstützpunkt - ein Experiment, das nirgends in den Akten auftaucht. Alle arbeiteten zusammen, bis irgendwas passierte und das Projekt aufgegeben wurde.«
    Eine Weile gingen sie schweigend weiter. Im abendlichen Dämmerlicht bogen sie bei der Garret Hostel Lane um die Ecke und hatten nun zwischen den Mauern des Trinity und des Cläre College freien Blick auf den Fluss. Sie betraten die Fußgängerbrücke und blickten über den Uferstreifen.
    Normalerweise hatte man von hier das Inbild einer perfekt kultivierten Natur vor Augen: der Fluss zwischen den exakt gemähten Rasenflächen, die wie mit der Nagelschere gestutzten Weiden, die ästhetisch vollkommenen Brücken. Heute aber sah es so aus, als wollte der Fluss sich die Stadt wieder einverleiben. Die reißende, grau-schwarze Strömung war um ein mehrfaches schneller als an normalen Tagen und schleuderte weiße Schaumstreifen an das Ufer. An Steinen, Schrott und Müll, die im Wasser lagen, bildeten sich lange Verwirbelungsstreifen.
    »Da ist ja einiges unter der Oberfläche«, sagte Mia.
    Fletcher wandte sich ab. »Willkommen in Cambridge.«
Donnerstagabend
    Der zum Felwell College führende Uferweg wimmelte von Arbeitern, die am Flussufer Sandsäcke stapelten. Die College-Mauern waren dunkel, doch ihre Eisenspitzen schimmerten in dem hellen, weißen Licht, das im College- Innenhof brannte. Fletcher und Mia kamen bis zum Pförtnerhaus, bevor jemand sie aufhielt. Einer

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