Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
Vom Netzwerk:
eine Art Tagebuch der internationalen Kulturschickeria führt. Paul Bowles verläßt nie ein Hotel, ohne zu erwähnen, daß es das Palace ist. Und es ist dennoch das Unterfutter für Literatur.
    Der Schriftsteller Paul Bowles gleicht einem Schachspieler, gleichmütig und schweigend vorm Kamin seine Züge setzend, sehr rasch, sehr leise – ob Königin, Bauer oder Pferd: Es sind alles seine Geschöpfe, aus irgendeinem afrikanischen Elfenbein erlesen geschnitzt. Er zieht, opfert und gewinnt. Das Bild des Schachspielers könnte man anwenden für Bowles’ gesamte literarische Methode, die seinem existentiellen Grundgefühl entspricht; nicht zufällig wählt er für den Roman «Das Haus der Spinne» diese Zeilen aus «Tausendundeine Nacht» zum Motto: «Für mein Gefühl gibt es nichts Köstlicheres, als ein Fremdling zu sein. Darum mische ich mich unter die Menschen, nur um ein Fremder unter ihnen zu sein, denn sie sind nicht von meinem Schlage.» Das ist das Raster seiner Literatur: die Begegnung der westlichen Zivilisation mit der arabischen Welt – die letztlich immer in der Nichtberührung verharrt. Jeder bleibt in seinen eigenen Obsessionen befangen, die eine Welt kann die andere weder durchdringen noch verstehen.
    Das prägt die Struktur seiner Bücher. Ähnlich dem Schachspiel ist das Personal begrenzt, das Spielfeld genau abgezirkelt, und die Aktionen sind beliebig variierbar: Fast immer reist ein weißes Paar – gelegentlich sind es durch eine Triole verbundene drei Partner – durch Marokko, nach Fez oder Tanger, und gerät in undurchsichtige Situationen, in denen Handlungen und Motive der Araber unerklärbar, dadurch unheimlich sind. Wie die weiße Figur ihre Züge nur nach ihrer eigenen Logik machen kann, spiegelbildlich auf die Bewegungen der schwarzen Figur reagierend – aber stets an ihr vorbeiziehend –, so baut Paul Bowles seine Bücher in strenger Abfolge; auf Zug weiß folgt Zug schwarz – unbegreifbar der eine dem anderen.
    Diese Ästhetik der gegeneinandergesetzten Bilder hat künstlerische Konsequenzen. Zum einen schafft sie eine Atmosphäre des Unheimlichen. Paul Bowles’ Bücher sind dadurch spannend wie Kriminalromane, die ja ihre Vitalität aus dem Umbau von Logik beziehen, aus dem Aufheben normaler Kausalitäten. Wie man im Krimi – zumindest anfangs – nicht weiß, warum die Tante erschlagen, wie und von wem der Tunnel zum Tresor gegraben wurde – so bleiben die Motive von Bowles’ Figuren undurchschaubar; diese Irritation setzt sich im Leser fort. Er wird in Situationen versetzt, die unentwirrbar und aussichtslos zugleich scheinen.
    Und nun geschieht etwas Seltsames: Genau an dieser Methode scheitern die Romane. Was die dunkle Schönheit von Paul Bowles’ Stories ausmacht, aus deren stets rätselhaftem offenen Ende man erwacht wie nach einem Haschisch-Traum, dieses zitternde Ausklingen von Worten, Sätzen in ein Nichts, von dem man nicht weiß, wie wird es enden: Das funktioniert nicht bei epischer Prosa. Die innere Rapidität der Kurzgeschichten verträgt das Lapidare – das den längeren Bau eines Romans zerstört. Der Roman braucht die Kausalität; ihr stilistisches Mittel ist der Dialog. Aber Paul Bowles setzt seine Schachfiguren sprachlos außer Zusammenhang, die Aktionen bedingen sich nicht, sondern fallen auseinander. Da ist ein schwer definierbares Gesetz der Kunst verletzt worden, das besagt: Jede Technik hat ihr Format. So undenkbar eine Max-Ernst-Collage im Format zehn mal acht Meter wäre (weil sie damit den Intimraum ihrer Unheimlichkeit verließe), so undenkbar ist eine Henry-Moore-Bronze als Handschmeichler (weil sie damit ihre haptische Magie verlöre). Die Kurzgeschichte darf – oder soll gar die Atemlosigkeit des Gespenstischen haben, sie hat – wie Paul Bowles’ Story «Die leichte Beute» – die Finsternis eines Capriccios jenseits der Ratio.
    Sie löst durchaus den von Bowles gerne zitierten Kafka-Satz ein, «An einem gewissen Punkt angelangt, gibt es kein Zurück mehr. Das ist der Punkt, der erreicht werden muß.» Dieses Verweigern von Ursachen wird im Roman zur Beliebigkeit; dieses Einsam-Machen von Menschen gerinnt im Roman zur Austauschbarkeit. Schach kann man ohne Partner spielen. Tennis nicht. Prompt verblaßt die Farbe der Romanbilder sehr oft zum Kostümstück; Fez und Burnus und Dschellaba bekommen etwas Kinohaftes. Paul Bowles’ Technik, seine Figuren willkürlich verschwinden, auftauchen, abreisen, sterben zu lassen, bekommt

Weitere Kostenlose Bücher