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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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einen Gestus des Herablassenden, Uninteressierten. Eben noch der gnadenlos scharfe Blick, mit dem er eine Leiche fotografiert – die Heldin aus «Himmel über der Wüste» verläßt ihren in der Wüste an Typhus erkrankten Mann: «Ein seltsames intensives Summen in ihrer Nähe ließ sie die Augen öffnen. Fasziniert beobachtete sie zwei Fliegen bei ihrem kurzen, heftigen Begattungsakt, der sich auf Ports Lippe abspielte.» Und wenige Seiten später bekommt der Roman etwas Karl-May-haftes, mit Kamelen, Krummsäbeln und der in – respektive ohne – Pumphosen verkleideten Frau, die in indolenter Behaglichkeit mal dem einen, mal dem eben nur als Zuschauer beteiligten anderen Araber mit lässigem Vergnügen zu Willen ist. Das Fremde wird touristisch, der Schock zur Verblüffung.
    Der Autor Paul Bowles scheint ein Solist zu sein, Virtuose
eines
Instruments; daher das Meisterhafte seiner Erzählungen, quasi «ein-stimmige» Prosa, deren knappe Präzision William Burroughs hervorhob, die Truman Capote als die besten seiner Generation pries und von denen Gore Vidal gar sagte, sie gehörten zum Besten, was ein Amerikaner je geschrieben hat. Doch Burroughs deutete auch bereits die Gefahr des Chronisten an, jenes Element des Unbeteiligten; eine Haltung, die dem Dirigenten eines vielstimmigen Klangkörpers – also: eines Romans – schadet:
    In Nordafrika fand Paul Bowles das, was er als «reines lyrisches Glück» definiert, ein friedliches Glück, das sich aus seiner Perspektive von vollkommener Zurückhaltung herleitet. Wenige Schriftsteller halten sich aus ihrem Werk so unbedingt heraus wie «The Paul», wie Ahmed Yacoubi ihn einmal genannt hat. Diese Reserviertheit trägt aber zugleich auch eine gewisse Einschränkung in sich. Auf dem Stellenmarkt hat jeder Punkt seinen Preis, und der ist hoch: Mit Feilschen kommt hier keiner durch. Deshalb gibt es auch so wenige Schriftsteller – nur sehr wenige sind nämlich bereit zu zahlen. Wenn ein Schriftsteller sich gänzlich in sein Werk hineinfließen läßt, kommt er irgendwann an sein eigenes Ende. Wenn er sich jedoch völlig aus seinem Werk heraushält, wird er zum Chronisten, und genau das ist Paul passiert. Er überliefert die Erfahrungen seiner afrikanischen Freunde. Im Spiel des Schreibens kann man nicht gewinnen: «Winner take nothing», sagt Ernest Hemingway und endete mit einer Ladung Schrot im Kopf.
    Nun ist der Chronist ja beides: einer, der teilnimmt – und einer, der nicht teilhat. Das scheint Paul Bowles’ gesamte Existenz bestimmt zu haben. Er spricht Spanisch und Arabisch, hat – im Auftrage der UNESCO  – marokkanische Musik gesammelt und jene «mündliche» Literatur bewahrt, die ihm arabische Erzähler wie Mohammed Mrabet auf Band sprachen. Er hat mit ihnen Monate, vielleicht Jahre die Kif-Pfeife geteilt und im Dämmer auf den Kissen gehockt. Aber er war zugleich der Fremde, der im weißen Jaguar-Cabriolet spazierenfuhr oder noch heute seine Co-Autoren mit dem Ford-Mustang zum Markt schickt, ihm das Essen zu bereiten. Diese Attitüde verleiht manchen seiner Texte etwas Distanziert-Höhnisches; schlimmstenfalls wird es Kitsch – wohl zugleich Resultat eines angelesenen Fatalismus; denn der ist Paul Bowles ja nicht eingeboren wie seinen arabischen Freunden, er hat ihn vielmehr gelernt – er zitiert ihn, etwa aus dem Lied der Eule aus «Tausendundeiner Nacht»:
    Ich weiß, daß die Welt
    eine große Leere ist,
    ins Leere gebaut …
    Und darum nennen sie mich
    Meister der Weisheit.
    Ach, weiß jemand,
    was Weisheit ist?
    Es ist die Sackgasse des unbeteiligten Erzählers. Dem gelingen fast immer bedrohliche Anfänge, er schneidet den Menschen ihre Schatten ab; durch diese Technik seiner situationistischen Prosa entsteht mit Aplomb eine Unheimlichkeit, die Sogkraft hat.
    Die Eingangssequenz des Romans «So mag er fallen» ist einer der typischen Anfänge, das Motiv des Verlorenen, der inneren Bezugslosigkeit wie äußeren Ortlosigkeit, schneidet Bowles in einer Fugenkomposition gegeneinander, fallend, anschwellend, abnehmend, variierend. Dann, an einem bestimmten Punkt in jedem seiner Romane, unterbricht er das durch das Einführen einigermaßen obligater Figuren – fast immer skurrile, reiche, alkoholabhängige Amerikanerinnen mit schweren Brillantringen, großen Häusern, makabren Gewohnheiten. Diesen Wechsel von Schicksal zu Schickeria hat Bowles
expressis verbis
bejaht.
    Paul Bowles’ Romane liefern uns noch einer anderen Irritation aus:

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