Stahlstiche
bitte herauszufinden, wo mein Freund, der deutsche Schriftsteller Lion Feuchtwanger, sich aufhält. Ich weise jede amerikanische Dienststelle an, jegliche erdenkliche Hilfe zu leisten.»
So parkte bald in der Nähe des Flusses, in dem die Häftlinge sich einmal in der Woche waschen durften, ein amerikanischer Diplomatenwagen, in dem ein selbstvergessenes Liebespaar sich küßte – Marta Feuchtwanger und ein Attaché, sie «kidnappten» ihren Mann, in Kleidern, Hut und Schleier entkam «unsere Schwiegermutter» durch alle Kontrollen, schließlich zu Fuß über die Pyrenäen und irgendwann nach Amerika.
Ein Haus erzählt. Die Wände, die Möbel, jeder Schrank atmet Geschichte. Unsere Geschichte. Die Geschichte der Deutschen. Man kann durch dieses 30 -Zimmer-Haus wandern wie durch lebendig werdende Vergangenheit, in der Schuld und Farce, Anekdote und Schicksal so dicht nebeneinanderliegen. Zu einem besonders schönen Tisch sagt der alterslose Chinese: «Ja, das war auch Heinrich Manns Lieblingstisch», und zu einem zittrigen Bleistiftzettel: «Das ist einer der wenigen Briefe von Nr. 384 aus dem KZ Esterwegen: Carl von Ossietzky.» Da gibt es ein freundlich-bescheidenes Abwehrschreiben von Eleanor Roosevelt: «… aber ich habe doch nur das Selbstverständliche getan» oder den Dankesbrief des deutschen Schauspielers Alexander Granach, der in der Sowjetunion «verschollen» war und für den der «fellow traveller» Feuchtwanger bei Stalin persönlich (erfolgreich) interveniert hatte. Im kalifornisch üppigen, gänzlich verwilderten Garten, der sich in Terrassen den Berg hinunterzieht ohne ersichtliches Ende, steht ein derber, einfacher Holzstuhl neben einem ebenso schlichten Tisch: «Der Stuhl von Brecht, er war ganz billig, da saßen die beiden Stunden um Stunden, und der von Feuchtwanger ist ganz zerfallen.»
Brecht liebte Feuchtwanger, neidete ihm nicht einmal Erfolg und Vermögen (fast alle Romane Feuchtwangers erschienen in den USA in Riesenauflagen und wurden von Buchklubs und Hollywood unter Lizenz genommen; er war der König eines Genres, des historischen Romans). Seit man dem jungen Mann in Augsburg, der nicht wußte, was er mit seinem ersten Stück anfangen sollte, geraten hatte, «gehen Sie nach München zu Feuchtwanger», bewahrte er ihm seine Freundschaft.
Feuchtwangers zahllose Verbindungen und Beziehungen halfen vielen Emigranten. Sein Haus war ihr Treffpunkt. Der einzige Ort, an dem die feindlichen Brüder Thomas Mann und Bertolt Brecht sich trafen, miteinander sprachen («Das Scheusal hat Talent», sagte der Romancier über den Stückeschreiber). Den einzigen Part, den Helene Weigel in Hollywood je spielen durfte – die stumme Rolle in der Verfilmung von Anna Seghers’ «Das siebte Kreuz» –, hatte Feuchtwanger arrangiert; und zu ihm kam der im «Doktor Faustus» sich schmählich verraten fühlende Arnold Schönberg, um zu klagen. «Ich habe
keine
Syphilis!», war sein erster Satz; bekanntlich war seine Erbitterung so stark, daß Thomas Mann in der zweite Auflage des Buches eine vorsichtig erklärende Entschuldigung einrücken ließ:
Es scheint nicht überflüssig, den Leser zu verständigen, daß die im XXII . Kapitel dargestellte Kompositionsart, Zwölf-Ton- oder Reihen-Technik genannt, in Wahrheit das geistige Eigentum eines zeitgenössischen Komponisten und Theoretikers, Arnold Schönbergs, ist und von mir in bestimmten ideellem Zusammenhang auf eine frei erfundene Musikerpersönlichkeit, den tragischen Helden meines Romans, übertragen wurde. Überhaupt sind die musiktheoretischen Teile des Buches in manchen Einzelheiten der Schönbergschen Harmonielehre verpflichtet.
Thomas Manns Haus lag unweit, er war häufiger Gast, er las aus unfertigen Arbeiten, und zu den Gästen zählten Chaplin und Billy Wilder und Einstein und Hanns Eisler. Neidlos ging es wohl nicht immer zu, Thomas Mann konnte einfach nicht begreifen, daß Feuchtwangers Josephus-Romane ein Riesenerfolg waren, Hollywood es aber rüde ablehnte, seine Josephs-Romane zu verfilmen. Man kennt die gewisse Kälte, mit der Thomas Mann (wie seine Tagebücher es exemplarisch vorführen) Menschen seiner Umgebung zu sehen und zu beurteilen pflegte; so ist wohl auch die Dünnlippigkeit zu verstehen, an die der junge Emigrant George Tabori sich erinnert:
Eines Abends gingen wir zu Lion Feuchtwangers Haus, einer Villa, von so protzender Vollkommenheit wie Wahnfried. Als ein Akt der Rache, weil er nicht wie Mann den Nobelpreis bekommen
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