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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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 – auch für mich – eine wichtige Figur war, literarisches Vorbild, Aufsprenger kultureller Verkrustungen, Orientierungsmöglichkeit; noch bis hin zu seinem emphatischen Nietzsche-Aufsatz, mit dem er sich gegen das neostalinistische Gekläff eines Wolfgang Harich verwahrte. Ich weiß auch, daß er vielen Kollegen geholfen hat, sie neidlos förderte, furchtlos für sie intervenierte. Da nun das Gespenst der Erpreßbarkeit herumgeistert (in der berechtigten Annahme, des unschuldigen Mielke unschuldige Mannen wußten Bescheid), möchte ich sagen: Davon glaube ich kein Wort. Stephan Hermlin war nicht zu erpressen. Das für unsereins Unverständliche – die Stalin-Gedichte in
faux marbre
, das Begrüßen des Mauerbaus, der Applaus zum Einbrechen der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag – hat er aus eigenem Verstand getan. Man mag es historisch grotesk nennen, moralisch verwerflich, man mag es feige Arroganz nennen – es war sein ganz eigener, ganz einsamer aufrechter Gang. Wer das gekrümmte Rückgrat dabei sieht, soll auch nicht übersehen: Da ging einer, hätten wir ihn damals gekriegt, hätten wir ihn umgebracht. Wie sehr das Stephan Hermlins Existenz bestimmt hat, zeigt nicht nur der wichtige Sammelband seiner politischen Stellungnahmen, den Ulla Hahn bei Hanser herausgab; das zeigen genügend seiner Gedichte.
    Unser Brot gewürzt mit Qualen,
    Unser Wein berauschend wie Haß.
    Wer soll unsern Wein bezahlen …
    Am Boden liegt das Glas
    Und das Brot gewürzt mit Qualen.
    Das Gedicht heißt nicht zufällig «Ballade von den alten und den neuen Worten». So manches Wort von Stephan Hermlin ist groß. So manche seiner Wörter sind klein.
    *
    Zeuge und Zeugnis
    Zum Tod von Stephan Hermlin
    Was war nun das Besondere an ihm? Nachdenkend über Stephan Hermlin, trauernd, fällt es schwer, sein Bild zu schärfen. Ob es die geradezu ergreifenden Widersprüche waren, die den Charakter dieses Mannes wie seine Poesie prägten? Gemeint sind damit nicht die zugekleisterten Löcher in seiner Biographie, so blamabel wie unverständlich. Das wissen wir nun, es wurde hinlänglich erörtert; fair nicht immer: auch nicht von mir, der ihm im Laufe der Corino-Debatte fälschlich unterstellte, er habe den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag bejubelt.
    Ich glaube, daß die Bedeutung des Menschen und Schriftstellers Stephan Hermlin darin lag, daß er Zeuge und Zeugnis zugleich war: für den Riß, der durch unsere Epoche ging, die manchmal geschönte, manchmal hinausgeschrieene Not – Menschen wie Hermlin waren verratene Verräter, mutige Opfer der Verfolger wie kleinmütig verfolgende Täter. Der eminente Einfluß – man darf das getrost Erfolg nennen – seines schmalen Werks auf eine Generation Schreibender, ob Volker Braun, Christa Wolf oder Günter Kunert; der Respekt, den ihm die literarische Welt zollte von Pablo Neruda über Louis Aragon zu Ilja Ehrenburg und Anna Seghers: Derlei hat seinen tiefen Grund nicht in pfeifenrauchend edler Geste der Schweigsamkeit. Da gibt es einen tiefliegenden Kern. Der mag umhüllt gewesen sein – verborgen? – durch allerlei Mogelei, Attitüde, auch Feigheit; wer war schon sein Leben lang nur groß, anständig und mutig? Begabt noch dazu? Mir scheint, dieser Kern barg das Samenkorn tiefer, auch bitterer Einsamkeit. Die Anekdote, die er mir einmal, zurückkehrend von irgendeinem PEN -Kongreß, über Anna Seghers erzählte, meinte selbstverständlich ihn selber: In Stockholm, am Wasser stehend, habe die Autorin des «Siebten Kreuzes» ganz jäh, ganz unvermittelt, ganz Angst, ausgerufen: «Mein geliebtes jüdisches Volk!» Hermlins Schmucksucht war der Mantel um diese Angst, Hermlins Preissänge auf Solidarität, auf Banner und Marschtritt und Fanal waren – gelegentlich zierliche – Fluchten; Bitten um eine «Zeit der Gemeinsamkeit», wie eine seiner schönen Erzählungen heißt. In einer seiner Balladen liest man die flackernde Hoffnung:
    Einsam im Siege noch sein
    War unsere Wahl. Mit wildem Willen geladen
    Nach der unsäglichen Zukunft nur noch – und nie mehr allein.
    Da lag Not. Elend, wie das mittelhochdeutsche Wort für Fremde heißt. Das haben seine Leser gespürt – einer zum Beispiel, der eben dem Elend entronnen war und der seinen Hunger nach Ernst, nach Trost bei Stephan Hermlin gestillt sah – so muß man Franz Fühmanns Brief an den Kollegen lesen:
    Als ich in den letzten Tagen des Dezember 1949 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, bekam ich 1

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