Stahlstiche
der Vater – glücklicherweise – friedlich verstorben, der Dichter selber nie im KZ gewesen und von seinem Kampf in Spanien (Kinderbilder indes sind vorhanden) nirgendwo eine Spur, bei keinem einzigen der so akribisch auch Namen nennenden Kombattanten, die Michelin-Angabe eines Hotels in Barcelona als Auskunft – das hat mit dem Mann, mit dem Schriftsteller nichts zu tun? Genet immer im Reihenhaus von St. Cloud und nie im Gefängnis; Ernst Jünger nur in Pampuschen hinterm Ofen und nie im Schützengraben: das würden wir doch wohl ahnden? Und nach der Enthüllung, Heinrich Böll sei tatsächlich nie Soldat des Zweiten Weltkriegs, sondern stets Postbeamter im friedlichen Rhöndorf gewesen, würde nur mehr der pure literarische Karatgehalt von «Wo warst du, Adam» taxiert, scheint leicht abwegig.
Der Aufschrei klingt ein wenig nach gespaltener Zunge – als weiland mit seinem furiosen Einstandsartikel bei der FAZ Frank Schirrmacher die umgelogene rechtslastige Biographie von de Man entlarvte, war ihm Applaus sicher. «Destruktionswut», wie sie jetzt mundfertig der Ost- PEN -Präsident verkündet, wurde in dem Fall nicht unterstellt.
Gert Mattenklott, wägend und austarierend wie stets, schrieb anläßlich des ganzen Lärms:
Verehrter Herr Hermlin: Wer war denn mit sich selbst je identisch und in den Visionen von sich selbst nicht immer am liebsten ein anderer und besserer? Ihre Leser werden Sie kaum weniger schätzen, wenn sich herausstellt, daß die Bilder, die Sie von sich haben, schöner sind, als das Leben sie wahrhaben wollte und will. Um so trauriger für das Leben. Ob Ihre Träume zu guter Letzt nicht doch wahrer sind als ihre Entzauberungen … wer weiß?
Das ist endlich eine Nachdenklichkeit, die der Sache gemäß ist; man mag ihr beipflichten oder nicht. Ich bin mir nicht so sicher wie mein Kollege. Eine Szene aus Hermlins Feder beispielsweise, die sich mir einst besonders einbrannte, ist mir nun doch vergiftet: Da steht er in den fünfziger Jahren im Kopenhagener Museum vor einem Munch-Bild und reflektiert, das habe einst im Eßzimmer der Eltern gehangen, und die Nazis hätten es gestohlen; ein politisch-moralischer Blitz wie aus Brechts «Furcht und Elend des Dritten Reiches». Nun teilt aber das Museum mit, das Bild sei in seinem Besitz seit 1917 . Wunderkerze statt Blitz.
Das ist zu fragen:
Stephan Hermlin hat gelogen. Hat das seine Literatur versehrt? Heikle Balance. Tatsächlich scheint mir, Wolf Biermanns schöne Wagenbach-Schallplatte «Chausseestraße 131 » hörte sich anders an, erführe man nun, sie sei, statt in der stasiverwanzten Wohnung heimlich aufgenommen, in einer bequemen Müggelsee-Villa produziert worden. Einerseits. Andererseits: Brechts Ballade «Erinnerung an die Marie A.» bleibt eines der großen Gedichte deutscher Sprache, unbeschadet der peinlich zur berühmten «List» stilisierten Schäbigkeiten des Stückeschreibers, der nach Aussage mancher Zeitgenossen seine Gerissenheit öfter wechselte als seine Hemden. Das – mich – Peinigende an Hermlins Flunkereien ist deren Qualität; Abitur oder nicht Abitur, Chauffeure, Reitpferde oder geschwindeltes Studium – das interessiert mich nicht sehr. Es mag gar unter Freuds Kategorie der «vorgeschobenen Deckerinnerung» fallen. Es mag sogar dieses affige Goldlamé verantwortlich sein für so manch kunstgewerbliche Erlesenheit in verschiedenen Gedichten. Hermlin hat sich den Goldhelm aufgesetzt. Das Rätsel indes ist noch nicht gelöst – müssen wir umwerten, umfühlen, seit wir wissen, «Der Mann mit dem Goldhelm» ist nicht von Rembrandt? Lüge und Schmuck. Selig sei, wer frei davon. Das ist wohl noch zu rubrizieren unter dem Diktum: «There is no fiction except autobiography.»
Mit KZ indes spielt man nicht. Nicht mit Tod, nicht mit Illegalität. Da muß diesem Papperlapapp von «dichterischer Wahrheit» das schlichte Wort «Authentizität» gegenübergestellt werden. Das eine nur unredlich – dieses aber unreinlich. In alten Zeiten hätte man gesagt: «Schäme dich.»
Bleibt das große WARUM : Warum hat ein Mann von der Begabung, der Bildung, der – ja, auch – Geradlinigkeit eines Stephan Hermlin so ekligen Schmutz in sich hineingelassen? Nur einer kann da nicht spekulieren. Das wäre sein letztes großes Gedicht.
Doch mag ein persönliches Wort gestattet sein. Ich kenne den Mann seit 1949 , in kurvenreichen Annäherungen und Entfernungen. Ich kann bezeugen, daß er für viele Menschen in der DDR
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