Stahlstiche
Romanciers. Er knüpfte Verbindungen zu den Studentenrebellen in Kalifornien oder Berlin; es heißt, er habe die deutschen 68 er mit reichlichen Geldmitteln versorgt (angeblich, was nicht bewiesen ist, auch die Baader-Meinhof-Leute). Bewiesen immerhin ist, daß er nach dem Attentat auf Rudi Dutschke 1968 dessen Behandlungskosten übernahm, ihn nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nach Mailand transportieren und dort auf liebevoll-solidarische Weise pflegen ließ. Ich selber erinnere mich noch an meinen Besuch dort, wo ein todkranker Dutschke im Krankenbett lag und Dienstmädchen mit weißer Schürze große Silberplatten servierten. Eine so makabre wie berührende kleine Molière-Inszenierung.
Der Verlag als Ideenträger interessierte den Inhaber immer weniger. Er wollte die Idee als Tat; beides reimte sich für ihn auf Umsturz. So setzte er seine – bald geschiedene – Frau als Verlagschefin ein; als «Statthalterin» auch für den noch minderjährigen Sohn, den eigentlichen Erben und Nachfolger. Es begann die große wie schwere Stunde der Inge Feltrinelli. Den Mann – bald tauchte er mit gefälschten Pässen und an wechselnden geheimen Wohnorten in den Untergrund ab – sah sie nur noch sehr gelegentlich zu kompliziert vor-verabredeten geheimen Treffen; das letzte, zur Regelung von Erbschaftsangelegenheiten in der Schweiz angesetzt, fand nicht mehr statt. Inge Feltrinelli, Mutter eines halbwüchsigen Sohnes, kommissarische Nachlaßverwalterin des Vermögens eines erst gesuchten, dann toten Terroristen – stand jetzt gänzlich alleine da. Wie die italienische Gesellschaft strukturiert ist, konnte sie sich zwar mit Agnelli oder Olivetti beraten – alle Verantwortung für Verlag und Sohn Carlo aber trug sie ganz allein.
Es ist ein Bravourstück allererster Ordnung, wie die Frau das geschafft hat. Sie war nun «il Presidente» (wie ihr Briefpapier noch heute ausweist) – aber Präsident von was? Feltrinelli Editore galt nach wie vor als allererste Adresse im Verlagswesen – aber wie überall in Europa, zumal im nicht direkt lesehungrigen Italien, kamen schwere Wetter auf. Der Katzenmut war nun gefordert. Ohne Zögern zum Beispiel beschloß sie, den sehr gefährdeten Sohn nicht etwa in einem vornehmen Schweizer Internat zu verstecken – sie schickte ihn weiter auf eine normale Schule (was dem Hochbegabten gut bekam). Sie ließ sich nicht in einer gepanzerten Limousine chauffieren, sondern fuhr – fährt noch heute – mit einem rot lackierten Fahrrad durch die Mailänder City. Natürlich war (und ist) es kein Leben auf Hartz- IV -Niveau, Verlagsräume und Wohnung in der vornehmen Via Andegari wurden beibehalten, auch das entzückende kleine Schloß Villadeati bei Turin wie die Wohnungen in Sardinien und Paris. Reich weint sich’s leichter, heißt ein spöttisches Wort. Das Vermögen war ja nicht verschwunden – nur der Mann. Der aber war nicht nur weg. Er war tot. «He is lost», lautet eine Tagebucheintragung Inge Feltrinellis kurz vor dem spektakulären «Unglück» am Hochspannungsmast. Ich fuhr damals für den «Spiegel» nach Mailand, recherchierte etwas, entdeckte, daß zum Beispiel die Brille des extrem Kurzsichtigen am Tatort nicht gefunden wurde – hatte er also halb blind den Mast erklettern wollen? – und schrieb über den Mann, dem meine Achtung gebührte, im Nachruf: «Reich und Sozialist – ein Verräter (‹ihrer Anschläge›, sagte Brecht); arm und Sozialist – ein Räuber. Wann, bitte sehr, darf man eigentlich Sozialist sein?» Der Artikel hatte ein hübsches Depeschen-Nachspiel. «Danke. Stop. Rudolf» telegrafierte mir «Spiegel»-Herausgeber Augstein, dem ich antwortete «Bitte. Stop. Fritz.»
Doch der Verlag begann zu siechen. Es waren die Jahre, in denen große Traditionshäuser wie Rowohlt oder S. Fischer verkauft, andere durch Fremdbeteiligungen über Wasser gehalten wurden. Da faßte Inge Feltrinelli einen Entschluß, der eine Schokoladenseite hatte und eine bittere. Weder verkaufte sie, noch nahm sie fremdes Kapital auf (bis heute ist Feltrinelli Editore das einzige europäische Verlagshaus dieser Größenordnung ohne jede finanzielle Verflechtung). Sie schränkte das Programm ein, behielt die großen Autoren an Bord und stellte die allerlei auch leicht altbacken gewordenen Reihen mit revolutionären Pamphleten ein. Es war die Quadratur des Kreises, die ihr bravourös gelang – im Volksmund sagt man dazu, sie entstaubte das Wasser. Das Bittere an dem
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