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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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sorgsam umgehen – ein Element von Antisemitismus, ich höre kein Hepp-Hepp und lese auch keine Haßgesänge «zur Demontage eines weiteren Standbilds der DDR -Literatur», die ein mir unbekannter Jochen Laabs in der «Süddeutschen Zeitung» konstatiert. Was ich, zur eigenen Verblüffung, bei Corino erfahre, sind Fälschungen, mit denen Hermlin die eigene Vita geschönt, geschminkt, gezinkt hat. Es handelt sich keineswegs um unerlaubtes Ableiten biographischer Fakten aus einem literarischen Text. Es handelt sich um klare, nicht «literarisierte» Selbstaussagen Hermlins – noch 1990 hat er in einem Interview gesagt, sein Vater sei im KZ umgekommen; er hat immer und immer wieder – in Gesprächen, nicht nur in fiktiven Texten, zum Beispiel in «Sinn und Form» 6 / 1971  – jene proustsche Hauslehrerjugend herbeifabuliert, die nun etwas kümmerlicher erscheint; er hat die Begegnung mit Céline keineswegs als Teil seiner Dichtung, sondern als reale Begebenheit geschildert («Sinn und Form» 2 / 1985 ). Vor mir liegen ganze Stapel von Zeitschriften, in denen Hermlin – unumwunden, eben nicht, wie es jetzt von FAZ bis taz erklingt, als dichterische Wahrheit – ge- und beschrieben hat, was so nicht gewesen ist.
    Die Erzählung «Abendlicht», die ich im Gegensatz zu vielen meiner jüngeren Kollegen liebe, darf nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden, weil ja Dichtung wie Kafkas «Brief an den Vater»? Aber fast der gesamte Text von «Abendlicht» ist in vielfacher Variante vorher als deklariert autobiographischer Text publiziert worden. Abgesehen davon, daß mir Fortsetzungsabdrucke des «Briefs an den Vater» bislang unbekannt blieben: wenn es nun gar keinen Papa Kafka gäbe? Wäre es derselbe Text, läse man ihn ebenso? Es ehrt den wahrlich kenntnisreichen Klaus Wagenbach, der sich stets in erbitterter Freundschaft zu seinen Autoren bekannte – aber das Argument hinkt; er selber hat ja wahre Atlanten der Rückkoppelung von Kafkas Texten zu Kafkas Leben produziert. Der «Brief an den Vater» seismographiert sehr wohl eine wahre existentielle Not, eine wirkliche Angst vor einem realen Vater; er ist keine Erzählung.
    Wir alle haben in unseren Bibliotheken mächtige Bildbände über Schnitzler, Musil, Thomas Mann, in denen Schreibtische, Revolver, Hausmädchen, Zeitgenossen in direkten Bezug zur Dichtung dieser Autoren gesetzt werden. Wieso soll das im Fall Hermlin unerlaubt sein? Als Hermann Kant ( NDL   12 / 1979 ) «Abendlicht» rezensierte, es ganz selbstverständlich als unverhüllte Selbstaussage pries, lange «Ich»-Sätze als Auskunft über ein nobel-widerständiges Leben nahm, hat Hermlin sich nicht mit einem mickrigen «Spiegel»-Interview dagegen verwahrt, hat auch – seltsame Töne des sonst so leisen Friedrich Dieckmann ( FAZ vom 12 . Oktober 1996 ) – niemand Veranlassung gesehen, den «Mann der erhabenen Eigenschaften» gegen diese «Entlarvungsgeste» in Schutz zu nehmen.
    Vielleicht darf man auch an einen kenntnisreicheren, seriöseren, im Gegensatz zu Kant luzid begabten Rezensenten erinnern, der gleichwohl «Abendlicht» als präzises Lebensrezitativ Hermlins begriff; der, durchaus rechtens und richtig, Hermlins Wehmut «Mittlerweile verschwanden allmählich aus meinem Leben die Verse» mit dem Satz kommentierte: «Als sich Hermlin auch dies eingestehen mußte, war die Quelle seiner lyrischen Dichtung verschmutzt.» Der Autor dieser ZEIT -Rezension heißt Hans Mayer. Gegen einen Großen wie Peter Ensikat käme er nicht an; der nennt das «Verwechslung von Lebenslauf und Literatur».
    Wie wäre es denn, es stellte sich heraus, Jorge Semprún – gerade sein Werk ist ja eine einzige
biographie romancée
 – war nie im KZ , nie im spanischen Widerstand? Wie wäre es denn, man erführe, Breyten Breytenbach sei nicht Jahre im südafrikanischen Zuchthaus eingekerkert, vielmehr Weinbauer am Kap gewesen? Man würde mit Sicherheit nicht literaturgenießerisch den Kopf wiegen und irgend etwas vom «autonomen Kunstwerk» faseln. Es gibt nun einmal literarische Texte, die beziehen ihre Würde aus ihrer Rückübersetzbarkeit in die Wirklichkeit – «Mein Ort» von Peter Weiss wäre auch in seiner gräßlichen Schönheit kein literarisches Dokument, wäre Peter Weiss nicht wahrlich bestimmt gewesen für diesen «Ort» namens Auschwitz.
    Nun ist jemand ein «haßverzerrter Detektiv» (übrigens ein ehrbarer Beruf), der anderswo Biograph genannt würde: Die Mutter keine Engländerin,

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