Stahlstiche
würde einen Mord begehen, blieb der natürlich mein Freund. Ich kann doch nicht als Person Urteile der Gesellschaft, die man objektiv richtig findet, übernehmen.»
Keiner Obrigkeit Untertan – ein Mann der Mühseligen und Beladenen. Heinrich Böll war kein Politiker. Aber er war für viele
die
politische Instanz der Bundesrepublik; obwohl – oder weil – der Bundeskanzler den Weg zu Ernst Jünger zweimal, den Weg zu dem Schwerkranken in der Eifel nie fand. «Was sagt Böll …» – «Ich wende mich an Böll …» – «Jetzt muß Böll …» – wohl täglich fragten, riefen, sagten, schrieben das Eingesperrte und Ausgewiesene, Exilierte und Entrechtete; denen er fast immer half. Seine integre Humanität, seine Störrischkeit auch bewahrte dieses gleißnerische Ding, das wir Utopie nennen. «Wir dürfen uns nicht fürchten, zu weit zu gehen …», hat er einmal gesagt, «und ich werde mir die Hoffnung auf diese Utopie nicht ausreden lassen.» Welche? Er benannte sie mit der ihm eigenen schmunzelnden Gelassenheit: «Eine profitlose und klassenlose Gesellschaft.»
Ein Träumer wohl auch. Doch wer nicht träumt, wird irre. Und eine Gesellschaft, die Träume nur als Wort der Werbung katalogisiert, droht wahnsinnig zu werden. Daran hat Heinrich Böll nicht nur sich, sondern uns ständig erinnert. Sein Welterfolg war auch Zeichen für unser aller Gier nach Hoffnung. Sie ist jetzt verschattet.
DIE ZEIT , 30 / 19 . 7 . 1985
Über Stephan Hermlin
Der Mann ohne Goldhelm
Zum Fall Stephan Hermlin
Der Werther ist nicht Goethe, Gustav Aschenbach ist nicht Thomas Mann, und auch der Ich-Erzähler des Romans «Hunger» ist nicht Hamsun; nicht einmal Flaubert, trotz des berühmten Spruches «Madame Bovary, c’est moi», ist mit seiner Figur identisch. Das lernt man – wenn man dort etwas lernt – im ersten Semester Literaturstudium. So einfach ist das.
So einfach ist das nicht. Literatur kennt viele Modelle und Spielweisen, zahllose – mal dem Autor fernere, mal weiter geschwungene – Horizonte. Heinrich Heine war durchaus der Mann, der – wenn es auch nicht «im traurigen Monat November» war – seine Reise in «Deutschland. Ein Wintermärchen» beschrieb, und die Frage nach der angeeigneten Vita, der eigenen oder fremden, war im Roman noch nie unredlich – ob nun Walther Rathenau für den Arnheim in Musils «Mann ohne Eigenschaften» Vorbild war oder Georg Lukács für den Naphta in Thomas Manns «Zauberberg». Es gibt hermetische Kunstwerke so gut wie durchlässige. Zu Becketts «Comment c’est» verböte wohl sogar die bei allen Dichterlesungen gefürchtete alte Dame sich ihre Frage «Ist das autobiographisch?» – zu Strindberg, bekanntlich, wäre sie so abwegig nicht. Und zu Genet ist sie geradezu geboten. Wer die eigene Biographie sehr direkt einschmilzt in sein Werk, muß erdulden, nach ebendieser Biographie befragt zu werden, nach Kurven, Schleifen, auch Unterschleifen. Daraus – auch daraus – besteht Literaturwissenschaft: ob der Essay über Virginia Woolf, der ebendiese Schleifspuren eines Lebens in «Die Fahrt hinaus» oder «Zum Leuchtturm» untersucht, ob die Heine-Philologie, die noch heute rätselt, warum der Dichter der «Loreley» zeitlebens sein Geburtsdatum fälschte, oder Ian Gibsons Lorca-Biographie, die erstmals offen die Homosexualität des Autors darlegte. Auch Wolfgang Hildesheimer schildert schonungslos, daß Mozart kein Herzchen war. Derlei hat zunächst einmal nichts zu tun, gar nichts, mit Verfolgung, Schmähung, Denunziation.
Stephan Hermlin ist ein – ich finde: großartiger – Schriftsteller, der sein gesamtes Werk mit seinem Leben aufs engste verwoben hat; von der unvergeßlichen «Ballade nach zwei vergeblichen Sommern» bis zur unverzeihlich schmähenden Erzählung «Die Kommandeuse». Für das Werk Gottfried Benns – «Ein armer Hirnhund, schwer mit Gott behangen» – ist es unerheblich, wie viele Tripper der Dr. med. weggespritzt hat. Für Stephan Hermlin – «Die Zeit der Wunder schwand. Die Jahre sind vertan» – ist es maßstäblich, daß er denen entrinnen konnte, die ihn wegspritzen wollten. Das ist die Gräte seines Gedichts.
Weil das so ist, weil er seinen Lebensweg exemplarisch machte für seine Literatur; damit für uns, seine Leser: ist es kein Akt einer kriminellen Energie, genau diesen Lebensweg zu erforschen. Nirgendwo in Corinos biographischer Studie sehe ich – mit diesem Wort, lieber Stefan Heym, sollte man sehr
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