Stahlstiche
wie Inges Vorliebe für Rollmops oder geräucherten Butt, schwebt sie mal in Kampen auf Sylt ein: Es wurden, wie auf dem Markt, öffentlich Bücher gegen Spargel aufgewogen – ein Kilo weiß Gedrucktes gegen ein Kilo grüne Stangen. Der Applaus in der Presse hallte wie sonst nur bei Barenboim in der Scala. Inge ist bei beiden Anlässen dabei. Sie ist ihre eigene Palette, den quicklebendigen, rötlich schimmernden Lockenkopf so voll bunter Phantasie, wie ihre todschicken Paillettenkleider, Pelzjacken, Federboas und Cashmere-Schals in den kühnsten Farben schillern; der eine Enkelsohn, mitgenommen in das Madrider Museum der Sammlung Thyssen-Bornemiza, sagte vor einem der besonders plakativen grellen Richard-Lindner-Bilder: «Aber das ist ja die Oma!»
Freunde nennen sie inzwischen Clara Zetkin. Denn nach so unzählig vielen Auszeichnungen der internationalen Verlagswelt, die sie vorbehaltlos als die «Queen of the Publishing Business» ansieht, wurde sie im Sommer 2008 mit dem Premio Europeo Carlos V ausgezeichnet, der in einem Kloster südlich von Madrid zum Gedenken an König Carlos V. verliehen wird, wo dieser sein Lebensende verbrachte. Ähnlich den Ritualen der Académie française ist derlei immer verbunden mit dem Namen eines bedeutenden Toten. Der Sitz von Inge Feltrinelli trug den Namen der Sozialistenführerin Clara Zetkin. Das Foto von der Zeremonie zeigt eine strahlende Frau im eng geschnittenen weißen Hosenanzug, hinter ihr applaudierend das spanische Herrscherpaar. Kloster, Könige, Sozialistin, Armani-Anzug: Schwerlich hätte man solche Kürzel erfinden können zur Charakterisierung dieser ungewöhnlichen Frau.
« DU. DIE ZEITSCHRIFT DER KULTUR », 789 /September 2008
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Spiegelbilder
«Ich bin nicht liberal – ich bin radikal»
Gespräch mit Nadine Gordimer
FRITZ J. RADDATZ : Ein Schriftsteller als Fremder im eigenen Land: Inwieweit berührt, versehrt die Situation sogar Ihr Schreiben, daß Sie im Ausland erfolgreich – spätestens seit dem Nobelpreis weltberühmt – und in Südafrika eher unbekannt sind; ein Autor außerhalb, zumindest neben seiner Gesellschaft?
NADINE GORDIMER : Darf ich erst einmal die generelle Situation erklären, was Schriftsteller, Leser, den Büchermarkt in Südafrika betrifft; schwarze wie weiße Autoren gleichermaßen. Wir sind weniger als vier Millionen Weiße in einer Bevölkerung von etwa sechsunddreißig Millionen. Die Weißen – zu denen ich gehöre – haben von Beginn an bis heute eine weit bessere Erziehung genossen: Dennoch lesen sehr wenige von ihnen das, was Sie und ich unter Literatur verstehen. Damit sind erst einmal die englischsprachigen Weißen gemeint. Viele Weiße, vor allem aber ein hoher Prozentsatz der Schwarzen wie der Farbigen sind nicht eigentlich englischsprachig; Englisch ist für sie eine Fremdsprache, die sie als Zweit- oder Drittsprache erlernen. Die südafrikanische Literatur – gleich ob von Schwarzen oder Weißen geschrieben – ist aber fast ausnahmslos auf Englisch verfaßt.
FJR : Heißt das, daß auch die jüngeren schwarzen Autoren in Englisch schreiben, gleichsam in der Sprache der Kolonialherren, wie algerische Schriftsteller – Mohammed Dib etwa – französisch schrieben?
GORDIMER : Sie schreiben ausnahmslos englisch – darunter einige sehr, sehr gute Schriftsteller: Es’kia Mphahlele, Njabulo Ndebele, Mbulelo Mzamane, Bloke Modisane, Mtutuzeli Matshoba. Es sind literarische Repräsentanten ihres Volkes – aber kaum einer in diesem Volk kann sie lesen, weil die Englischkenntnisse der Bevölkerungsmehrheit zu rudimentär für ernsthafte Literatur sind.
FJR : Eine Irrsinnssituation: Böll von den Deutschen kaum gelesen, Sartre kaum von den Franzosen und Hemingway nur in Ausnahmefällen von Amerikanern. Besonders verquer für Sie – Sie stehen doch mit allem, was Sie schreiben, ob Romane, Kurzgeschichten oder Essays, deutlich in der Tradition der europäischen
littérature engagée
. Was richtet das in Ihnen an, wenn Sie zugleich wissen, kaum einer liest Sie in Südafrika?
GORDIMER : Sie werden schockiert sein: gar nichts. Es macht mir nichts. Ich denke beim Schreiben nie: Wer wird das lesen? Das wäre für jeden Schriftsteller fatal, es verkrümmt die Feder. Man scheute entweder «zu komplizierte» Konstruktionen oder biederte sich künstlich der Plattheit an. Ich schreibe so, wie ich fühle, daß ich schreiben muß.
FJR : Aber Sie sind doch eine sehr politische Schriftstellerin,
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