Stahlstiche
Entschluß war: Der Verlag, die linke Hochburg, mußte Mitarbeiter entlassen. Oft hat «il Presidente» von der Qual dieser Maßnahme berichtet, in Interviews, auf Kongressen. Aber sie rettete auf diese Weise das Erbe ihres Mannes, um es intakt eines Tages dem Sohn übergeben zu können. Eine weitere Idee zeigt, daß diese Frau –
bella figura
auf der internationalen Bühne, mit Preisen, Ehrungen und Orden ausgezeichnet zwischen Moskau, Paris und Mexiko – eine hart arbeitende Geschäftsfrau ist; denn es irrt, wer in der stets glänzend elegant gekleideten
Femme du Monde
eine Galionsfigur des Jetsets sieht, weil sie Jahrgangschampagner zu bestellen weiß und in Venedigs Harry’s Bar automatisch den besten Tisch bekommt. Die Katze war ein Arbeitstier geworden, und nicht das Seidenkissen auf dem Sofa war ihr Platz, sondern der Stuhl hinter dem überladenen Schreibtisch. Von hier aus – falls der leicht wacklige zoologische Vergleich erlaubt ist – hat sie ein weltumspannendes Spinnennetz gewoben, darin Enzensberger, Ransmayr oder García Márquez eingefangen wurden. Frei nach Hemingways Erinnerungsbuch «Paris. Ein Fest fürs Leben» kann man sagen, Inge ist «ein Fest fürs Leben». Lädt sie in New York in die Oyster Bar unter dem Grand Central, saßen mit Sicherheit Susan Sontag und Arthur Miller mit am Tisch; ißt man mit ihr «in der guten Ecke» der Pariser Brasserie Lipp, stellt sie lässig vor «Please meet Richard Ford», Tischnachbar des Verlegers Gallimard, und ihr Toast gilt dem berühmten Maler Valerio Adami (der u.a. das Foyer des Théâtre du Châtelet ausgemalt hat). Inge Feltrinelli ist ein Kommunikationsgenie. Wenn Günter Grass ihr Diner-Gast ist, kann man sicher sein, auch Umberto Eco zu treffen, der als Tischdame möglichst Nadine Gordimer unterhält. Inge gibt keine mondänen «Partys» mit Zuckerfähnchen im Sorbet und kunstvoll gesteckten Blumenarrangements. Das bezaubernde Villadeati ist eher eine Schloßherberge für die «family», wie man einst in Amerika die Intellektuellen nannte; mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie vor eine klappernde Tür einen dicken Bildband wirft oder Stromausfall mit Teelichtern kompensiert, gibt sie hier mal ein kleines Pasta-Essen für vier Schriftsteller wie das nächste Mal ein sich weit in den terrassierten Garten hinunter erstreckendes Fest für 27 internationale Verleger. Ihre wöchentlichen Faxe sind wie verzückendes Wetterleuchten aus einer mehr und mehr versinkenden Welt, in der noch Kultur, Freundschaft und gegenseitiger Respekt den Takt angaben: «Sah gerade in Rom Michel Krüger – läßt herzlich grüßen»; «Fliege morgen nach Berlin zu unserem Freund Wagenbach»; «Begleite Nadine Gordimer auf ihrer Tournée – sie erinnert sich noch an Deinen Besuch in Johannesburg»; «Roger Straus (der amerikanische Verleger) ist schwer krank, ich gebe in Frankfurt ein Abschiedsessen für ihn, Du mußt unbedingt dabei sein, Carlo – der meist Schweigsame – hält eine kleine Rede»; «Habe Deinen Artikel über X an sechs Freunde verschickt». Sie saust nach Paris, um einen sterbenden Freund zu besuchen, obwohl sie in Moskau mit Jewtuschenko verabredet ist und zwei Tage später eine Rede in Kuba halten muß. Wenn sie nicht gerade eine neue der inzwischen etwa 300 Feltrinelli-Buchhandlungen eröffnet. Das nämlich war eine weitere brillante Idee, die der Bob Dylan- und Joan Baez-Verehrer Carlo mit Vergnügen aufgriff: Da Italien kein so durchorganisiertes Sortimentersystem hat wie Deutschland, weite Landstriche des Südens mit Büchern gänzlich unversorgt sind – riefen die Feltrinellis eigene Buchhandlungen ins Leben (Carlo kaufte Bertelsmann die größte in der Mailänder Passage ab). Nur, daß das in unserem Verständnis nicht einfach nur Buchhandlungen sind, welche von den nicht unbedingt lesehungrigen Italienern kaum betreten würden; sie sind jeweils eine Mischung aus Espresso-Bar, Treffpunkt für junge Leute, Music-Shop, wo neben den Taschenbüchern ein Cello zum Verkauf steht und neben dem Stapel mit dem neuesten Bestseller auch CD s und DVD s zum Stöbern einladen. Die Philosophie dieses florierenden Unternehmens lautet, auf einen Satz gebracht: Wer Charlie Parker hören will, will vielleicht auch Toni Morrison lesen, und wer seiner Freundin eine «Stromboli»- DVD schenkt, packt eventuell noch eine Ingrid-Bergman-Biographie dazu. Der Ursprung zu diesem inzwischen recht strammen zweiten Bein des Verlages war so simpel
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