Stahlstiche
Geld machte, der Sohn es verschwendete und der Enkel betrunken in der Gosse endete: dieses zerfließende Konzept war das unsere von der klassenlosen Gesellschaft; untheoretisch, praxisbezogen und ziemlich verrückt. Man kann es auch privilegienlos nennen. In Europa ist ein verarmter Graf immer noch Graf. In Amerika ist ein verarmter Millionär nichts als arm. Er gehörte keiner Klasse an.
FJR : Aber waren Sie nicht desillusioniert in den vierziger Jahren, in der Zeit der McCarthy-Hysterie, als Menschen wie Brecht, Thomas Mann oder Charlie Chaplin das Land flohen und Dutzende, wenn nicht Hunderte Ihrer Kollegen verhört, denunziert und arbeitslos wurden? Sie waren so ziemlich der einzige, der Aussagen verweigerte. Prompt bekamen Sie über Jahre keinen Paß, hatten «Ausreiseverbot», wie das in der DDR hieß.
MILLER : Sie berühren einen der finstersten Punkte der jüngeren amerikanischen Geschichte, und es fällt mir noch heute schwer, darüber zu sprechen – weil es die Anfälligkeit unserer Demokratie zeigt. Amerika, der Sieger über den Faschismus in Europa, war plötzlich ein präfaschistisches Land, mit schwarzen Listen linker Sympathisanten, heimlichen Protokollen, Denunziationen. Die gottähnlichen Studiobosse von Hollywood kniffen den Arsch zusammen, Kollegen meinten ihren Kopf aus der Schlinge ziehen zu können, indem sie Kollegen anschwärzten. Gut, es gab keinen Gulag und, natürlich, kein KZ – aber es gab genau dieses System von Lüge, Verrat, Anzeigerei und Wegsehen.
FJR : Wollen Sie sagen, alle hätten pariert, mitgemacht?
MILLER : Was heißt «hätten»? Sie haben! Zuerst waren die Herren von Hollywood empört, daß ihnen da jemand vorschreiben wollte, wen sie engagieren dürfen und wen sie zu feuern hätten, ob bei Columbia oder bei Metro Goldwyn Mayer. Das dauerte exakt 48 Stunden. Dann legten sie die Hände an die Hosennaht und kuschten, sie überboten sich im Aufstellen schwarzer Listen und entließen über Nacht ihre besten Drehbuchautoren oder Regisseure. So paradox es klingt: Nicht die Kraft unserer Demokratie hat uns gerettet, sondern McCarthys Alkoholismus und die Armee. Als er begann, sich mit der Armee anzulegen, hatte er sich verhoben. Keiner von uns hat McCarthy besiegt, auch Arthur Miller nicht. Ich war mehr dickköpfig als mutig, und als jemand, der nirgendwo angestellt war, der keinen Job – etwa in den Hollywoodstudios – hatte, also keinen verlieren konnte, war mein Risiko gering. Übrigens weitaus geringer als für Marilyn Monroe; wir hatten gerade geheiratet, sie war das Symbol Amerikas schlechthin, ein Star. Meine Beziehung zu Marilyn Monroe spielt glücklicherweise in diesem Gespräch keine Rolle. Aber ihr Schicksal ist neben dem persönlichen Drama auch eine soziale Tragödie mit politischen Valeurs.
FJR : Mich hat immer verwundert, wie scheinbar unberührt, jedenfalls unbeeinflußt von seinen Zeitgenossen der Dramatiker Arthur Miller geblieben ist. Da sitzt jemand in New York, schreibt Stück um Stück, manche von epochalem Erfolg, manche wütend verrissen und rasch abgesetzt – und in Europa schreiben Brecht, Sartre, Beckett. Lebten die auf einem anderen Stern?
MILLER : Brechts Idee, ein Theater für die große Masse bei gleichzeitig hohem artistischen Standard zu machen, ähnelt durchaus meiner Ambition. Aber wirklich beeinflußt bin ich von der Vor-Brecht-Generation, von Autoren wie Ernst Toller, Georg Kaiser, Walter Hasenclever. «Tod eines Handlungsreisenden» steht in dieser Tradition.
FJR : Stimmt es, daß Sie den Namen Loman aus einem Fritz-Lang-Film nahmen?
MILLER : Ja. Ich sah in einem Kino der 42 nd Street «Das Testament des Dr. Mabuse». Otto Wernicke, dieser bullige Schauspieler, spielte den Chef der Sûreté. Ein junger Detektiv will ihn, den Chef, anrufen, und man sieht in einer Nahaufnahme sein verzweifeltes Gesicht, während er «Hallo? Hallo! Lohmann? Lohmann!» in den Hörer flüstert. Also das expressionistische Drama – in Amerika ungespielt – war von enormem Einfluß auf mich. Brechts didaktische Schärfe war nie die meine. Es hängt wohl damit zusammen, daß wir ähnliche soziale Erfahrungen gemacht haben, aber seine waren schneidender. Gewiß bin ich als Jude hochsensibilisiert gegen jede Form von Antisemitismus und Nationalismus – aber dieses kompakte Erleben von « SA marschiert», von eingeschmissenen Schaufenstern und brennenden Synagogen hatte ich nicht. Emigrieren mußte ich nicht.
FJR : Amerikas Unterklasse ist nach
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