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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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voranbringt – aber man könnte ja mal (anders als der sture Adenauer) zum Beispiel die zitierten Leute beim Wort nehmen und endlich Politik machen?
    Ich bin kein Staatsrechtler und kann die Form, eine eventuell überwölbende Verfassung oder Verträge, nicht anbieten, die so ein «Gebilde» haben könnte und müßte. Aber ein Laie versteht ja schon den Ist-Zustand kaum. Dafür drei Beispiele des deutsch-deutschen Alltags:
    Der S-Bahnhof Friedrichstraße, Übergang und Einreisepunkt nach Ostberlin, gehört zum Hoheitsgebiet der DDR , per Bahn hat man sichtbar die Mauer überquert, Westberliner Polizei gibt es dort nicht, dafür Ost-Uniformierte – aber «eingereist» ist man dennoch nicht; Westberliner kaufen dort im Intershop für Westgeld billig Wodka oder Dunhill-Cigaretten, gemütlich bewacht von DDR -Grenzpolizisten – die sie aber nicht kontrollieren. Wo also bin ich da? Im Niemandsland?
    Niemandsland aber auch am schönen Rhein. So liest sich ein Bericht vom Mai 1989 :
    Für dreizehn der vierzehn Militärflugplätze in Rheinland-Pfalz, zu denen auch sechs Luftwaffenbasen der US -Armee und zwei der Bundeswehr gehören, hat es nie ein förmliches Genehmigungsverfahren oder eine luftverkehrsrechtliche Genehmigung gegeben … Die Antwort der Landesregierung über die Rechtsgrundlagen, den Betrieb und die Eigentumsverhältnisse auf den Militärflugplätzen ist lückenhaft, da das Bundesverteidigungsministerium und das Bundesfinanzministerium teilweise keine Angaben übermitteln konnten. Offiziell wurde das damit begründet, daß «die Unterlagen bereits archiviert sind». In der Antwort fehlen auch «genaue Angaben über Zeitpunkt und Requisition» der Rollbahnen durch die Alliierten nach dem Krieg … Insgesamt sind in Rheinland-Pfalz über 42  Millionen Quadratmeter, allein auf Flugplätzen, militärisches Sperrgebiet, das sich weitgehend außerhalb der Kontroll- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Landesbehörden befindet.
    Daß die Dinger Phantom heißen, die da auf den – ja: wem nun eigentlich gehörenden? – Rollbahnen rumjuckeln, ist nur noch eine bläßliche Pointe.
    Drittes Beispiel, das man bitte einem Germanisten aus Bordeaux mal klarmachen soll: Will man – etwa in einer editorischen Notiz – die Rückkehr von Bertolt Brecht (oder Anna Seghers oder Arnold Zweig) aus der Emigration kennzeichnen, kann man nicht sagen: «Kehrte 1948 nach Deutschland zurück.» Deutschland gab es nicht. Die DDR aber auch noch nicht. Also die sowjetische Besatzungszone? Zu der aber gehörte Berlin nicht. Also wird aus fünf Wörtern ein Mini-Essay zum Thema Deutschland: «… kehrte aus dem kalifornischen Exil in den sowjetisch besetzten Sektor von Berlin zurück, der später entgegen den Bestimmungen der Potsdamer Konferenz zur Hauptstadt der DDR erklärt wurde.»
    Kurzum: Ich weiß nicht, wie man die disparaten Gesellschaftssysteme angleichen kann, einander durchdringen, ergänzen, fruchtbar werden lassen kann. Das müssen, beim Gaus, Experten überlegen – die weder Dresden ver BILD lichen noch Krupp enteignen wollen. Martin Walser zitierte sehr zu Recht den Artikel  61 jenes «Katechismus zur deutschen Frage» (aus dem «Kursbuch» 4 / 1966 ): «Die gesellschaftlichen Ordnungen verlören ihre Geschlossenheit; sie müßten voneinander lernen; sie könnten einander Versionen ihrer Zukunft anbieten.»
    Nicht
einer
kann das, niemand ist Max Weber plus Mommsen plus Jaspers plus Eschenburg in einer Person. Aber ich stelle mir vor: Nicht denen die Republikaner an den Hals und nicht uns die Margot H.! Aber, verdammt noch mal, wieso diese dickselige Politik der Unbeweglichkeit? Warum nicht ein bißchen Antreiben, Aufrührerei und Anstoß? Man vergißt in Deutschland leicht, daß Politiker nicht Vorgesetzte sind, sondern bezahlte Angestellte; von mir – Millionen «mirs» – bezahlt: Sie sollen endlich ihren Job tun. Nun kann man vom Apfelbaum keine Birnen – also von Kohl nicht Denken und von Honecker nicht Flexibilität – verlangen. Ludwig  XVI . war auch reichlich dumm und Madame de Staëls Papa, der Minister Necker, bestenfalls ein Zählwerk. Aber die Aufklärung dachte die (ungeahnte, «nicht vorstellbare») gewaltige historische Umwälzung herbei; tausend kleine Rinnsale wurden ein unaufhaltsamer Strom. Sie träumten das Unmögliche und dachten das Undenkbare, die anonymen «Libelles»-Verfasser, die kleinen Pamphletschreiber und die paar großen Geister. Sie ließen jenes Gesetz außer acht,

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