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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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noblen Plädoyer «Die deutsche Uhr zeigt Einheit an» also auch ein nationalistischer Schwätzer? – gerne ein Jahr Dramaturg am Berliner Ensemble sein und Katharina Thalbach am Deutschen Schauspielhaus Genet inszenieren? Daß Heiner Müller in aller Welt die Stichworte für Robert Wilson liefern und Ruth Berghaus zwischen Hamburg und Wien schöne Opernbilder zaubern darf: Vielleicht gibt es noch ein paar mehr, die gerne dürften? Das klingt nach Gastspiel. Doch ich frage nicht nach Pina Bauschs nassen Tangos in Görlitz und Gisela Mays metallenen Songs in Darmstadt; das haben wir ja; das ist – Kultur als hübsche Beigabe zum Röhrengeschäft – die Petersilie, dekoriert um den Karpfen. Ich will den Karpfen.
    V .
    Was will er?
    Ich will eingestehen dürfen, ohne Schmähungen gewärtig zu sein, daß mich Theo Sommers Satz schockiert: «Wer heute das Gerippe der deutschen Einheit aus dem Schrank holt, kann alle anderen nur in Angst und Schrecken versetzen.» Nicht die Kühnheit des Bildes erschreckt mich, wenngleich der Krimi-Fan sich natürlich fragt, wie kommt das Gerippe in den Schrank. Mich schreckt das Unkühne daran, frei nach Benn: statisches Denken. Es ist so schrecklich «richtig», daß es – vielleicht – nicht recht ist. Sogar unhistorisch, will mich dünken. So man Geschichte als einen Prozeß versteht – einen, den wir, die Menschen,
machen.
Selbst Gerippe – um im Bilde zu bleiben – können dazu dienen: Die Knöchelchen des geschmähten, beleidigten, gemordeten Imre Nagy haben vorgewiesen, wie viele Emotionen mit in dem anonymen Grab lagen.
    Ja. Emotionen. Warum muß ich mich eigentlich schämen, wenn ich zugebe: Die Salzluft von Hiddensee oder das trockene Knarren der Fichten in der Mark Brandenburg, das silbrige Flirren über dem Schilf mecklenburgischer Seen – das ist auch ein Teil von mir? Da nistet ein Quentchen Glück? Zwar könnte ich nicht wie Heiner Geißler sagen, «Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein» – das klingt mir so nach «das stolze Kriegsschiff». Das Wort gefällt mir allenfalls im jüdischen Witz: «Wieso», fragt Mendele den Moische, «biste stolz a Jidd zu sein?» – «Nu», antwortet Moische, «Jude bin ich sowieso – da kann ich auch gleich stolz drauf sein.»
    Wir sind ja nun alle so schrecklich kosmopolitisch und wissen: Der Martini im Rainbow Room des Rockefeller Center ist der beste, die Kacheln an dieser einen Pforte von Fez die schönsten, und wer in Harry’s Bar in Venedig oben statt unten zum Essen plaziert wird, muß sich erschießen. Ja ja. Nein nein. Es wäscht mein Herz nicht. Es gibt doch, wie Hochhuth schrieb, einen «Geistes- und Gemütshaushalt einer Nation»; derlei klingt sentimental. Meinetwegen. Ist es deshalb schon verdächtig? Wenn so etwas zu schreiben schon «gewagt» ist – dann gute Nacht.
    Wieso muß ich gewärtig sein, «Nationalist» geschimpft zu werden, wenn ich einbekenne: Ich bin ein deutscher Patriot? Wieso eigentlich «gehört» Dresden nicht auch mir – wo wir doch wissen, wie krakelig und oft unbesonnen die Bleistiftlinien irgendwelcher Legationsräte waren, die diese angeblich «unverrückbaren» deutschen Grenzen fest-zogen; nicht nur die schöne Farce «Schwarzenberg» beweist das. Auch Lübeck hätte «weg» sein können.
    Wer so denkt, wer wie ich hier unumwunden sagt: «Laßt mir meine Sehnsucht nach Heimat, laßt mir den Geruch von Hecken nicht nur bei der Proust-Lektüre» – der will doch nirgendwo «einmarschieren», niemandem etwas «wegnehmen»! Wem denn auch? Gehört Leipzig Honecker? Und Düsseldorf «uns»? Egon Bahr – wer ein gutes Gedächtnis hat, erinnert sich sehr anderer Kommentare dieser «freien Stimme der freien Welt»; also hat er damals geirrt? Und ist nun ganz sicher, heute nicht zu irren? – Egon Bahr also verbietet, von «der Einheit zu träumen». Woher nimmt er das Recht? Er setzt derlei Gedanken mit denen der Hupka, Waigel, Schönhuber gleich und unterstellt, es sei von der Forderung eines Deutschland «in den Grenzen des Jahres 1937 » die Rede. Das ist Demagogie – Manfred von Ardennes Botschaft meinte das nicht, Martin Walser schrieb das nicht (und ich sage das nicht). Egon Bahr wird nicht dafür bezahlt, mir das Träumen zu verbieten – sondern zu versuchen, aus meinen «unseriösen» Träumen ernsthafte Realität zu machen. Etwa den Satz Präsident Mitterrands als Leitmotiv nehmend: «Die Wiedervereinigung ist in meinen Augen ein berechtigtes Anliegen der

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