Stahlstiche
durch» – oder eben nicht. Es war haargenau dieselbe Situation im Westen, wo ja in allen einflußreichen Medien – von der FAZ über die ZEIT oder die SZ bis zum «Spiegel» – ehemalige NSDAP -Mitglieder, ehemalige Offiziere aus allen Teilstreitkräften der Naziwehrmacht, des Kriegsberichterstatter-Korps oder Redakteure der immerhin bis 1943 erscheinenden «Frankfurter Zeitung» die entscheidenden Positionen innehatten: Sieburg und Müller-Marein, Nannen und Süskind und Höfer. Dem Kommunisten Emil Carlebach, Häftling im KZ Buchenwald und Abgeordneter des Hessischen Landtags, wurde 1947 die Mitherausgeberschaft der «Frankfurter Rundschau» von den Amerikanern entzogen. Noch 1998 hielt Martin Walser dem Exleutnant Augstein entgegen: «Ich wäre nicht Leutnant geworden, und wenn der Krieg tausend Jahre gedauert hätte … Du, Rudolf, so wie du bist, wärst in den tausend Jahren General geworden.»
Widerständler war ja jeder
Natürlich gehörten sie alle immer «zum Umkreis des Widerstands», der offenbar so weit wie das Land war. Die Lügenschminke deckte mal ein Gesicht, mal einen Konzern. So erzählt die Autorin Ingeborg Drewitz in ihrem autobiographischen Roman «Gestern war heute. Hundert Jahre Gegenwart» von einer Seminararbeit, die ihr ein Professor nicht begutachtete, weil sie prononciert gegen die NSDAP gerichtet gewesen sei; dazu in ihrer autobiographischen Skizze «Lebenslehrzeit», die die Jahre 1932 bis 1946 umfaßt, von ihrer heimlichen Marx-Lektüre. Nicht zu finden ist der Hinweis, daß sie noch im April 1945 bei dem prominenten Naziordinarius der Berliner Universität, Franz Koch, mit der Arbeit «Ethische Probleme des Werkes von Erwin Guido Kolbenheyer» promoviert hat. Läßliche Sünde.
Nicht ganz so für den Ablaßzettel geeignet die Selbstschutzbehauptungen des größten deutschen Medienkonzerns. Sprecher der Bertelsmann-Firmenleitungen künden gerne von «Widerstandsverlag» und einer Buchproduktion während der Nazizeit, die «als subversiv» verboten wurde. Das widerlegte eine – unwidersprochene – Sendung von «Monitor» am 20 . Mai 1999 , die den Direktor der Deutschen Bücherei Leipzig mit einer etwas anderen Charakteristik zitierte: «Diese Literatur vermittelte stark antisemitische, rassistische, militaristische Inhalte und die nationalsozialistische Propaganda, und der Bertelsmann-Verlag war einer der herausragenden Vertreter, der solche Literatur produzierte.» Bertelsmann, der die antifaschistische Schminke vor allem wegen seiner gigantischen amerikanischen Unternehmen nötig hat, sieht im Spiegel des Historikers Hersch Fischler eher runzlig aus: «Wenn Bertelsmann behauptet, es wäre ein Widerstandsverlag gewesen, dann ist das eine sehr nützliche Legende für Bertelsmann, aber sie hat mit der historischen Wahrheit nichts zu tun. Bertelsmann hatte sehr gute Beziehungen zum Propaganda-Ministerium, zur nationalsozialistischen Partei, und hat diese Beziehungen genutzt, um Geschäfte zu machen.» Tatsächlich haben Massenauflagen von «Der kleine Katechismus für den braunen Mann», einer Euthanasie-Rechtfertigungsschrift oder in circa 20 Millionen Exemplaren gedruckte Broschüren für den Feldpostbuchhandel – «Deutsche Tanks fahren in die Hölle», «Wir knacken einen Geleitzug», «Der Berg des Blutes», «Sturm auf den Annaberg», «Ein Stoßtrupp dringt in Warschau ein» – zumindest einen Kiesel neben den Grundstein für das Imperium gelegt.
Läßliche Sünde? Als solche, weltlicher ausgedrückt: als notwendiger kleiner Kompromiß wird gemeinhin gewertet, daß Peter Suhrkamp in den Nazijahren – als er, dessen ehemaliger Lektor, das Erbe des S. Fischer Verlags zu wahren hatte – reichlich klebrige Verbindungen zu dem Nazidramatiker Felix Lützkendorf hatte, dessen von rassistischer Naziideologie und schockierender Inhumanität strotzenden Bericht über das besetzte Polen er 1940 verlegte; in Warschau sah der Suhrkamp-Autor «anmaßende Blicke, überputzte Frauen, fette orientalische ‹Mammes› mit goldberingten dicken Fingern, schwulstlippige Männer mit schwarzen, pelzgefütterten Überziehern und hartem Hut, ganz auf vornehm. Und dazu dieses schreiende Jiddisch, mit dem sie einander zurufen und sich begrüßen, in dem man immer wieder mit Entsetzen arme mißhandelte deutsche Worte entdeckt … Diese Geschichte, diese Gegenwart, wahrhaftig, man könnte Polen einen femininen Staat nennen. Feminin ganz im slawischen Sinn. Alles ist äußerer
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