Stahlstiche
Braun – «die Regie besorgen Matthias Langhoff und Manfred Karge». Sie besorgten sie nicht. Nur «Moritz Tassow» wurde aufgeführt. Brauns Stück wurde während der Proben abgesetzt, endlose Diskussionen noch mit Brecht, dann mit Chefregisseur Manfred Wekwerth und der Prinzipalin Weigel führten zu nichts, das Stück wurde im Berliner Ensemble nie aufgeführt und erlebte erst 1972 in Leipzig seine Premiere. Es überlebte vor allem in einer Anekdote. Nach dem Theaterbrand der Kleinen Stadthalle von Karl-Marx-Stadt 1976 sagte der Generalintendant Gerhard Meyer, er selbst habe das Theater angezündet – auf Brandstiftung stünden immerhin nur fünf Jahre Gefängnis, auf Aufführung dieses Braun-Stücks aber mindestens zehn Jahre. Unbequeme Fragen anderer Theaterkollegen im Osten gab es sowenig wie von einem der hochgerühmten Hörspielautoren im Westen, Günter Eich oder Wolfgang Weyrauch, deren Hauptabnehmer/Redakteur/Regisseur schon für den Goebbels-Rundfunk gearbeitet hatte; Eich kannte ihn aus der Zusammenarbeit in jener Zeit, unerquickliche Texte.
Sie halten einander die Waage, die beiden Deutschlands, die Jahrzehnte der Nachkriegszeit hindurch. War Hochhuth hier ein «Pinscher» – noch 1986 hatte Bundeskanzler Kohl anläßlich eines Besuchs bei Papst Johannes Paul II . die Umsicht, sich zu entschuldigen, «daß gerade diesem Papst [Pius XII .] durch einen Schrifsteller deutscher Zunge Unrecht geschehen ist» –, so «bellte» Biermann, laut Klaus Höpcke, seine Gedichte. Als 1968 in der DDR die «Faust»-Inszenierung von Wolfgang Heinz, Intendant des Deutschen Theaters in Ostberlin, für Aufruhr (bis zum Verschwinden) sorgte, gefielen sich westliche Berichte in schicken Überschriften wie «Faust voll Marx» – und Klaus Höpcke, Kulturchef des «Neuen Deutschland», erkannte sofort auf «Beschädigung der humanistischen Substanz der Faust-Gestalt». Es war ja Goethe-Forscher Ulbricht höchstpersönlich, der die Richtlinien zum rechten Verständnis des Dichters ausgegeben hatte: «Erst weit über hundert Jahre, nachdem Goethe die Feder für immer aus der Hand legen mußte, haben die Arbeiter und Bauern, die Angestellten und Handwerker, die Wissenschaftler und Techniker, haben alle Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik begonnen, diesen dritten Teil des ‹Faust› mit ihrer Arbeit, mit ihrem Kampf für Frieden und Sozialismus zu schreiben.» Der Tenor der Attacken im «Neuen Deutschland», zwischen «Faust verkörpert das junge revolutionäre Bürgertum» und «Gerade weil die Arbeiterklasse so gewaltige Kraftanstrengungen zur Lösung der Epochenaufgabe unternimmt» ist nur zu verstehen, wenn man weiß, daß die militante Abwehr eines «individualistischen» Faust neben einem drei Seiten des Blattes füllenden Artikel von Walter Ulbricht steht: Der Prager «Revisionismus» soll in Schranken gehalten, die harte Linie der 11 . Tagung des ZK der SED soll verteidigt werden. Es geht um Politik, nicht um Literatur.
Genau das hatte Günter Grass kurz zuvor in einer «Panorama»-Sendung des Norddeutschen Rundfunks dem Zeitungshaus Springer vorgeworfen, sogar von «faschistischen Methoden» gesprochen: Die «Berliner Morgenpost» hatte eine – viel nachgedruckte – Falschmeldung über einen Brief Arnold Zweigs verbreitet, in dem er das Leben in der DDR als «Hölle» bezeichnet und geschrieben habe: «Die DDR ist weder deutsch noch demokratisch.» Diesen Brief gab es nicht, bei Springer hatte man schlecht beziehungsweise gar nicht recherchiert und fahrlässig-triumphierend einen renommierten Schriftsteller quasi ans Messer geliefert. Der Grass-Kommentar, in dem es hieß, daß «die Springer-Presse wie ein verfassungswidriger Staat im Staat die demokratische Ordnung der Bundesrepublik verletzen konnte», hatte die Öffentlichkeit wachgerüttelt, der Pressewirbel gebar Dementis, Richtigstellungen, Prozesse und Schmähungen; der Autor der ewig umstrittenen «Blechtrommel» – 1960 wurde ihm der Bremer Literaturpreis verweigert – hieß nun in allen Springer-Zeitungen (die sich bei Arnold Zweig nie entschuldigten) der «Dichter mit der Dreckschleuder», «rosaroter Erfolgsschriftsteller», «rot angehauchter Modeschriftsteller» und «redet Ulbrichts Propaganda-Chinesisch». Er hatte keinen «Faust» inszeniert und nicht den Mephisto gespielt. Er hatte – übrigens im Osten ein nichtgedruckter Schriftsteller – lediglich einem DDR -Kollegen zu seinem Recht verhelfen wollen. Was im
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