Stahlstiche
Mal sah sich Schneider in die innere Emigration gedrängt, ähnlich wie Martin Niemöller, der später bekannte, er denke «an die Jahre 1949 bis 1954 als an die dunkelste Zeit meines Lebens …, dunkler selbst als die acht Jahre im Gefängnis und Konzentrationslager», zurück. Man darf sich erinnern, daß deutsche Behörden sogar im Ausland intervenierten, so die deutsche Botschaft in Paris – erfolgreich – gegen Alain Resnais’ Film «Nacht und Nebel» mit der Musik von Hanns Eisler, für die Bundesrepublik später in der Fassung von Paul Celan, der 1951 bei den Festspielen in Cannes gezeigt werden sollte.
Ulrich Becher, nie anerkannt in der Bundesrepublik, konnte wegen «missverständlicher freudianischer existentialistischer Haltung» in der DDR nicht verlegt werden, Volk und Welt mußte William Faulkners «Eine Legende» zurückziehen, weil «mystisch, pazifistisch, unter dem Gesichtspunkt der Erziehung der Leser ohne jeden Wert», ebenso Moravia, Sartre und Hemingway. Der Aufbau Verlag strich Werke von Klaus Mann, Hermann Hesse und Joseph Roth; im Zeitraum von Oktober 1957 bis Februar 1958 wurden allein zwölf Titel zurückgezogen, und die im Wortsinn federführende Hauptverwaltung Verlagswesen drohte unverblümt, daß Verleger wie Lektoren künftig für «schädliche Bücher sehr ernsthaft zur Verantwortung gezogen» würden.
Die Geschichte der DDR -Literatur ist – auch – eine Geschichte verbotener, unterdrückter, gekürzter Bücher oder solcher, die knapp durch die Fänge der Zensur rutschten, oft – wie bei Christa Wolf – in winzigen Auflagen; gedruckt, aber nicht verlegt. Die Debatte um den «Ole Bienkopp» des Erwin Strittmatter, den der «Spiegel» bereits im Jahr 1998 entdeckte, füllte schon Anfang der sechziger Jahre ein eigenes Buch; denn der Held hatte sich vom Kollektiv entfernt, war, einsam an einem See, verreckt. Das war «Subjektivismus», das Buch wurde nur durch seinen Erfolg vorm Verbot gerettet wie Bruno Apitz’ späterer Welterfolg «Nackt unter Wölfen», im Arbeitstitel «Der Funke Leben» genannt: Es war der falsche Funke, da die Rolle der illegalen Parteiorganisation im KZ nicht hinreichend berücksichtigt war. Ob Heiner Müllers reichlich peinliche Autobiographie «Krieg ohne Schlacht», die von Helene Weigels Diktat seiner klammen Selbstkritik nach dem Verbot seines Stückes «Die Umsiedlerin» – «Mit stinkender Frechheit abgrundtief das eigene Netz beschmutzt» – erzählt, oder Brigitte Reimanns berührende Tagebücher: Alle authentischen Berichte über die DDR -Kultur sind durchzogen von «Bieler ist die Druckgenehmigung entzogen worden», «Ein Film, der nicht freigegeben wurde», «Der H. hat die Schiwago-Melodie mal in seinem Morgenprogramm abgespielt – das hätte ihm beinahe ein Parteiverfahren eingebracht», «Das Buch soll nicht gedruckt werden», «Der Film von Christa Wolf ist auch gestorben», «Er mußte das Buch einstampfen lassen» oder «W. und K. vom ZK können sich über den Maetzig-Film nicht äußern, Walter Ulbricht muß erst seine Zustimmung geben». Das alles zwischen dem «Brustbeutel für das Partei-Dokument» und einem «Chef der Ideologischen Kommission», der in seiner Freizeit Kissen mit Stadtwappen bestickte.
Es war eine «kommode Diktatur», wie Grass sie einmal nannte, die Grenzen des Erlaubten waren bekannt wie die des Unzumutbaren; zumeist vertraute man sein Unbehagen Tagebüchern oder Briefen an, verkroch sich – wie Fühmann oder Strittmatter oder später Christa Wolf – in die Einöde der Provinz, wo man ungarischen Kognak trank, und räsonierte im Bewußtsein, das Auto, die Datscha, der Verlagsvertrag würden schon erhalten bleiben. Stephan Hermlin, der noch im April 1949 den «sehr geehrten Herrn Professor» Victor Klemperer ermahnte: «Wenn Sie genug Marx, Engels, Lenin und Stalin lesen, dann kennen Sie Ihre Gegner besser als sich selber», wußte durchaus, worauf er sich einließ, als er Ende 1962 in der Akademie junge Lyriker vorstellte, darunter Wolf Biermann und Reiner Kunze. Er übte Selbstkritik vor dem Politbüro des ZK . Er antwortete auf Kurt Hagers Frage «Wie ist deine Beziehung zu Wolf Biermann?» dickköpfig «Ich halte ihn für ein sehr großes Talent». Er verlor seinen Akademieposten, aber weder die Villa noch den Westwagen, dessen horrende Reparaturkosten ihm per ZK -Beschluß in Valuta erstattet wurden.
Jeder Funkredakteur oder Verlagslektor kannte und beherrschte das Spiel «Das bringe ich
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