Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
Vom Netzwerk:
Glanz. Statt Taten Launen, statt Bündnissen Verlogenheit, Phantasie anstelle von politischer Realität, Geschwätz anstelle von Fleiß, und immer der Drang sich aushalten zu lassen. Der ganze Staat ein Hurendasein. Dazu grausam gegen die Schwachen, mitleidslos gegen die Armen, aber fromm in den zahlreichen Kirchen. Das ist das ewige Polen.» Fast überflüssig hinzuzufügen, daß der gemeinsam mit einem anderen Suhrkamp-Autor vom «Führer» mit dem Kriegsverdienstkreuz Ausgezeichnete – «Es ist der Geist ihres Führers und Feldherren, der sie unüberwindlich macht», hatte er den Einzug der deutschen Truppen in Paris bejubelt; 1942 bei Suhrkamp – auch nach dem Krieg Karriere machte: 1963 erhielt Lützkendorf den Dramatikerpreis der Münchner Kammerspiele.
    Im Land des Zwinkerns
    So war auch der Mut in den westlichen Redaktionsstuben nicht direkt epidemisch verbreitet. Der 1980 von Ost- nach Westberlin gegangene Schriftsteller Klaus Schlesinger, dessen Buch «Leben im Winter» in der DDR nicht erscheinen durfte, berichtet von Eingriffen bei der Ausstrahlung eines DEFA -Films im westdeutschen Fernsehen: «Als ich mich öffentlich beschwerte und von Zensur sprach, antwortete mir die Redakteurin etwas säuerlich, daß es in der Bundesrepublik keine Zensur gäbe. Allerdings habe sie die ‹Verantwortung für die Programmgestaltung›, und sie könne es dem Publikum nicht zumuten, wenn, wie in einer Szene geschehen, beispielsweise ein DDR -Polizist von der ‹Befreiung Berlins durch die Rote Armee› spreche.» Lakonisch faßte Schlesinger seine Erfahrungen zusammen: «Im Osten war das Schreiben ein politisches, im Westen ein existentielles Risiko.»
    Als die Deutsche Grammophon Anfang der sechziger Jahre eine Schallplatte mit Ernst-Busch-Liedern produzieren wollte, über den ich einen Aufsatz veröffentlicht hatte, rief mich der verantwortliche Abteilungsleiter an: «Das kriege ich hier nicht durch. Vielleicht, wenn ich Ihren Artikel zum ‹Abpolstern› auf dem Plattencover drucken darf.» Wer sich darüber ereifert, daß Arnold Schönbergs «Ein Überlebender aus Warschau» in der DDR  – deren gepachteter Antifaschismus ästhetische Barrieren hatte – nicht aufgeführt wurde, darf daran erinnert werden, daß dieser atonale Schrei des Entsetzens nicht direkt die Nationalhymne der BRD war. 1966 schrieb Heinrich Böll angesichts des geplanten USA -Besuchs der Gruppe  47 entgeistert an Hans Werner Richter:
    Das allerwichtigste aber: Die Vorstellung, daß die Bundesrepublik – was unvermeidlich ist – aus unserem Besuch dort politisch Kapital schlagen wird, verschafft mir eine Gänsehaut! Denn, wenn wir auch dort unsere ‹ach so bewährten kritischen› Texte vorlesen, gerade dadurch verschaffen wir diesem Land ja in den USA den Ruf eines freien Landes. Eine fürchterliche Vorstellung! Das einzige, das ein Schriftsteller hier tun kann: den außenpolitischen Kredit der Bundesrepublik in den USA (in dem einzigen Land, wo sie diesen Kredit genießt!) abbauen, abbauen!
    Die Bundesrepublik war kein Land des Lächelns; eher des Zwinkerns. Die DDR war ein Land des Wegsehens; das Englische hat dafür die schöne Doppelung:
I see it but I don’t look at it.
Man sah, daß man zu den feinen Brecht-Premieren an einem Gefängnisbunker der Stasi vorbeiging, die Fenster mit Brettern vernagelt,
but I don’t look at it.
Victor Klemperer notiert 1947 : «Ecke Karlstr. bis tief in die Albrechtstr. hinein ein rätselhaftes Palastgefängnis, ein Riesenklotz mit winzigsten Fensteröffnungen … Ich weiß nicht, was das war. Bei Doris hörte ich: ein Bunker.» Sehr nachgefragt hat er nicht.
    Von einem Protest des Hausherrn ist nichts bekannt, als der junge Regieassistent Horst Bienek in der Kantine von Brechts Berliner Ensemble verhaftet wurde (und für Jahre in Sibirien verschwand). Auch Proteste der Dame des Hauses hielten sich in Grenzen: «Erst nach nochmals 100  Jahren», sagte Helene Weigel zu dem DDR -Theaterkritiker Ernst Schumacher, als der ihr vorschlug, Volker Brauns Schauspiel «Lenins Tod» aufzuführen; da war zwar der «Personenkult» offiziell verurteilt, aber von Lenins Testament, in dem er vor Stalin warnt, durfte nach wie vor nicht die Rede sein. Schumacher hätte es wissen müssen. In seiner Spielzeiteinschätzung der Ostberliner Bühnen für 1964 / 65 hatte er drei Stücke angekündigt: «Moritz Tassow» von Peter Hacks; «Der Bau» von Heiner Müller; «Die Histoire von Kipper Bauch» von Volker

Weitere Kostenlose Bücher