Stahlstiche
noch nie schockiert habe, sind schockiert. Über Gott und Goethe darf man lästern, der Autor der ‹Todesfuge› ist unantastbar.» Damals Aufbruch und kritische Energie mit Texten von Peter Brückner oder Alfred Sohn-Rethel; jetzt eine hübsche Satire «Drei Tips für ein glückliches Leben». Vor 20 Jahren die Analyse von Margaret Walters’ Buch «Der männliche Akt»; nach 20 Jahren eine glanzpapierverdächtig-banale «Ehebruch»-Geschichte. Ermüdung oder Normalität? Der unsentimentale Abschied von den Lesern zitiert die Werbekarte des ersten Heftes: «‹Der Freibeuter› bringt Politik und Kultur zusammen. Er stellt auch Beute vor, die er außerhalb von Etsch und Maas gefunden hat. Er velwechsert manchmal lechts und rinks.» Weggelassen ist der Satz, mit dem dieser Text damals endete: «Er will sich mit Ihnen unterhalten.»
Das Wort Unterhaltung meint beides, Amüsement und Diskurs; von Diderots «Jacques le Fataliste» bis zu Brechts «Keuner»-Geschichten probates Mittel der Aufklärung. Sind wir nun statt aufgeklärt abgeklärt?
Ob der junge Herr Ostermeier in Berlin «Shoppen und Ficken» inszeniert oder der alte Herr Zadek in Hamburg «Gesäubert», ist nicht mehr eine Frage, die ein ZK entscheidet oder ein Kulturdezernent, der Klassenmoral oder der klassenlosen A-Moral, ist nur mehr eine Frage der Ästhetik; niemand – kein Politbüro und keine Aktion saubere Leinwand der CDU – hat Schlöndorffs Film «Der Erlkönig» abgesetzt; er war nur mißlungen und verschwand. Und gelungene verschwinden, weil der Zensor namens Markt sie nicht akzeptiert.
Das Wort «einst» hat einen schönen Doppelklang, es verklammert das Vergangene mit dem Künftigen. Die alten Kämpfe sind ausgekämpft. Neue kommen.
DIE ZEIT , 43 / 21 . 10 . 1999
Die linke Krücke Hoffnung
Über die Verabschiedung eines Traums
Freunde, die ich ernst nehme, sorgen sich: «Fängst du nun an, deine linke Position aufzugeben?» Ich aber weiß nicht (mehr), was das ist – eine «linke Position». Und niemand von denen, die sie für sich in Anspruch nehmen, erklärt sie mir; erklärt sich. Helmut Kohl einen Tolpatsch zu finden – ist das schon «links»? Und Castro, der Homosexuellenlager einrichtete und oppositionellen Schriftstellern die Knochen brach, einen Diktator – ist das «rechts»? Wo würde einrangiert in diesem «Journal des Luxus und der Moden» der nichtsozialistische, antikommunistische Südafrikaner Breyten Breytenbach, gleichwohl weltberühmt als Bekämpfer (und Opfer) des rassistischen Apartheid-Systems? Eine Anthologie ließe sich zusammenstellen aus Äußerungen prominenter Intellektueller, Schriftsteller, Professoren beider Deutschland, die etwas für sich reklamieren, das sie benennen – aber nie definieren. Das Ding hört auf unterschiedliche Namen – humaner Sozialismus, wahrer Sozialismus, der dritte Weg. Kürzlich sagte ein Essayist: «Ich bin und bleibe Marxist.» Allein: Was ist das?
Mir scheint, die linke Intelligenz hat sich seit Jahrzehnten – in der Bundesrepublik seit den fünfziger Jahren – aus der Negation heraus definiert. «Links» ist ja kein Begriff in sich selber; man kann nur links von etwas sein. Sowenig wie «Loch» etwas
per se
ist; es kann nur ein Loch in etwas sein. Es ist die Umgebung, die den Begriff liefert; damit legitimiert.
So war ein großer Teil der westdeutschen Nachkriegsintelligenz, glücklicherweise, gegen Restauration, (Neo-)Faschismus und verlogene Vergeßlichkeit – die sehr bald schon machtgeschützte Innerlichkeit wurde. Äußerlichkeit ohnehin.
Man lehnte sich auf gegen die Globkes und Oberländers, gegen die Sieburgs und Jüngers, gegen den tradierten Antikommunismus oder die «Aktion saubere Leinwand». Das Land wurde zwar aufgebaut, aber in den Köpfen nicht neu möbliert – eine nur gelegentlich greifbare, nur bei seltenen Gelegenheiten wie des Außenministers von Brentano Unverschämtheit, Brecht mit Horst Wessel gleichzusetzen, dingfest zu machende Chloroformwolke erstickte Ansätze zu Anstand, Trauer, moralischer Neubesinnung. Ein jüngerer Historiker summiert heute diese Zeit: «Die Stelle des Blutfeindes Jude nimmt nun der Weltwirtschaftsfeind Kommunist ein. Das Bürgertum hatte auch in Weimar den Feind der Republik stets links gesehen. Und Hitler hatte ja im Osten für den Bestand des Abendlandes gekämpft. Bald machte der Satz vom falschen Schwein, das geschlachtet worden sei, die Runde.»
Von Lächerlichkeiten wie dem Verbot des
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