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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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«Sünderin»-Films (weil Hildegard Knef sekundenlang nackt zu sehen war) über Entgleisungen wie den Vergleich der Gruppe  47 mit der Reichsschrifttumskammer zum schmählichen Versagen, daß nicht
ein
Bundespräsident, nicht
ein
Bundeskanzler auch nur
einen
Emigranten zurückbat – nicht Thomas Mann noch Walter Mehring, noch Leo Löwenthal, das Alphabet der Verjagten und Verfolgten hindurch: Die junge Bundesrepublik, im Kaufrausch, war eine einzige Gewissenswaschanlage. Man ließ einen enttäuschten Alfred Döblin wieder außer Landes gehen, einen deprimierten Fritz von Unruh sich zum zweiten Mal verabschieden, verhöhnte (den im Gegensatz zu Freislers Witwe mittellosen) Hans Henny Jahnn und jagte den katholischen Schriftsteller Reinhold Schneider, dessen «Fall» an Martin Niemöllers Satz erinnert: «Ich denke an die Jahre 1949 bis 1954 als an die dunkelste Zeit meines Lebens … dunkler selbst als die acht Jahre im Gefängnis und KZ zurück.» Peter Hamm sprach von einem Verleumdungsfeldzug gegen Reinhold Schneider, «bei dem man nicht einmal davor zurückschreckte, Schneider die Annahme eines hochdotierten Postens in der Sowjetunion zu unterstellen».
    Die Hatz auf Thomas Mann – im August 1949 fuhren FDP -Lautsprecherwagen durch Düsseldorf mit der Losung «Wir haben mit Thomas Mann nichts gemein als die deutsche Sprache. Wir sprechen jedem, der zwischen 1933 und 1945 nicht in Deutschland war, das Recht ab, über die politische Entwicklung in Deutschland zu urteilen» – würde ein eigenes Dokumentationsbuch füllen. Das Land, in dem es dreizehn Oberschulen auf den Namen Agnes Miegel gab, aber keine auf den Namen Carl von Ossietzky, «enthält allzu viel von dem», sagte der Emigrant Ernest Bornemann, «was wir im NS -Staat bekämpft haben, und allzu wenig von dem, was wir uns von einem nachhitlerischen Deutschland erhofft hatten». Posten, Pensionen, Ehrungen und Preise für die alten Nazis zuhauf: Ein Will-Vesper-Haus – aber keine Tucholsky-Straße; eine Hermann-Stehr- und natürlich eine Guido-Kolbenheyer-Gesellschaft – aber keine Heinrich-Mann-Akademie; eine «weihevolle Geburtstagsfeier» (Lörrach, 1959 ) für Hermann Burte – aber kein Erich-Mühsam-Gedenken. Dwingers blutrünstig-faschistischer Schrott wird in Auflagen von 200 000 und 400 000 gedruckt, derweil Walter Mehring sagt: «Ich schreibe Tag und Nacht ohne Verleger.» Verboten wurden Bücher, Platten, Theaterstücke nicht. Sie wurden «lediglich» nicht verlegt, aufgelegt, gespielt. Gründgens ja, Piscator nein.
    Ein persönliches Beispiel für das gespenstische alte wie für das neue Blümchen-Biedermeier. 1959 war ich Cheflektor eines Münchner Verlages (dessen von mir engagierter, eben promovierter Lektor den Namen Kautsky noch nie gehört hatte). Ich stellte fest, daß in der gesamten Bundesrepublik nichts von Karl Marx gedruckt war. Um mich wegen eines möglichen Herausgebers einer Auswahlausgabe kundig zu machen, rief ich einen jungen Redakteur der «Süddeutschen Zeitung» mit der Bitte um Rat an. Nach langem Zögern, er wisse eigentlich niemanden, der «so was» wisse, kam ein erleichtertes «Da gibt es, glaube ich, einen jungen Assistenten von Adorno, der könnte der einzige sein …» Als ich dort anrief, kam auf meinen Vorschlag, drei Bände Karl Marx herauszugeben, zuerst einmal ein total verblüfftes «Sie müssen ja ein mutiger Mann sein». Man mußte Mut haben, in der BRD Karl Marx zu drucken! (Der junge Redakteur hieß übrigens Joachim Kaiser; er hatte mich an Jürgen Habermas verwiesen.)
    Wann enden die fünfziger Jahre? 1980 kommt ein wissenschaftliches Institut in München zu dem Befund: «Insgesamt 13  Prozent der Weltbevölkerung (ca. 5 , 5  Millionen) haben ein ideologisch geschlossenes rechtsextremes Weltbild, dessen Hauptstützen ein nationalsozialistisches Geschichtsbild, Haß auf Fremdengruppen, Demokratie und Pluralismus sowie eine übersteigerte Verehrung von Volk, Vaterland und Familie sind.»
    Dagegen war die junge Intelligenz. Das nannte man – und nannte sich – «links». Mit Sozialismus, auch nur oberflächlicher Kenntnis sozialistischer Literatur, hatte es nicht das geringste zu tun – sowenig der Katholik Döblin, dessen Hamlet-Roman zuerst in der DDR und nicht in der BRD erschien, mit sozialistischem Gedankengut zu tun hatte oder Arno Schmidt, der aus Ekel über die Verhältnisse in der BRD einen Umzug in die DDR erwog.
    Hier beginnt, auch historisch, die definitorische

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