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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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an Walter Ulbricht, eine Bitte für die Häftlinge in der DDR  – 26  Todesurteile in einer Nacht in Waldheim, 40 000  Jahre Freiheitsstrafen – «reaktionär», den allerdings der Bürger Thomas Mann schrieb; ein vergleichbarer des Marxisten Bertolt Brecht ist bisher nicht dokumentiert:
    Zehn Verhandlungen etwa fanden in einer Stunde statt. Kein Verteidiger wurde zugelassen, kein Entlastungszeuge gehört. Gefesselt … wurden die Angeklagten, die im Voraus Verurteilten dem Gericht vorgeführt, das nach Vorschrift Zuchthausstrafen von 15 , 18 , 25  Jahren, auch lebenslängliche über sie aussprach … Hat es einen Sinn, diese armen Teufel … ganz im Stil jenes zur Hölle gefahrenen Roland Freisler, der genau so seine Zuchthaus- und Todessprüche verhängte, aburteilen zu lassen und damit der nichtkommunistischen Welt ein Blutschauspiel zu geben, das ein Ansporn ist allem Haß?
    Wer heute das ehemalige KZ Buchenwald besucht, kann Plakate zum Gedenken derer lesen, die dort auch in den Jahren 1945 bis 1950 eingesperrt und, ja, ermordet wurden. Das zu sagen sei «reaktionär», das zu verschweigen «links»? Schweigen kann Lügen sein. Und war es wirklich «rechts», als Melvin Lasky – für uns alle Prototyp des Kalten Kriegers, wenn nicht gar des CIA -Agenten – auf dem Schriftstellerkongreß 1947 nach dem in Ungnade gefallenen «Potemkin»-Regisseur Eisenstein fragte? «Endlich habe ich einen Kriegshetzer in Natur gesehen», rief Valentin Katajew, und empört – «Etwas weniger Lügen» – verließ die sowjetische Delegation, gefolgt von der deutschen, den Saal. Wer log? Vielleicht hätten die sowjetischen Kollegen besser dem Namen Eisenstein die Namen Mandelstam und Babel anfügen sollen? «Wir protestieren!», hatten sie gerufen. Es war der falsche Protest.
    Nur wenige untersuchten diesen unscharfen «Links»-Begriff; einer davon war Walter Dirks, der schon 1951 analysierte:
    Man ist gewohnt, den Vorgang, von dem wir sprechen, der «Reaktion» fast oder ganz gleich zu setzen, man benützt das Kampfwort Restauration auf der Linken und schleudert es der Rechten ins Gesicht. In Wahrheit aber kann auch die Linke an der Restauration teilhaben, – ja sie kann sie geradezu herbeiführen. Die Restauration des alten Parteiwesens z.B. ist zeitlich zuerst von der kommunistischen Partei ausgegangen. Sie hat sich 1945 nicht echt und neu der einzigartigen Situation im Nachkriegsdeutschland gestellt und das Wagnis der Geschichte nicht auf sich genommen, sondern sie hat diese Situation nur taktisch genommen und blieb auf sich selber bestehen, auf ihrer alten Linie. Als die Sozialdemokraten das merkten – und sie merkten es trotz der kommunistischen Parole der sogenannten antifaschistischen Front sehr bald –, unterlagen auch sie der Versuchung, sich selbst zu restaurieren … Die SPD hat, ohne es zu wollen, die Wiederherstellung der alten Welt gefördert, weil sie keine neuen Antworten auf die neue Stunde zu geben wußte, sondern sich selbst bewahrt hat.
    Damit ist die Wurzel des Debakels benannt. Links war zumeist – eine Haltung; Resultat einer radikalen Analyse war es nicht. Es war etwas entstanden, das es eigentlich nicht gibt: eine anständige Unaufrichtigkeit. Sie ist das Merkmal der aktuellen Debatte.
    Lassen wir mal unausgegorene Platitüden à la Helga Königsdorf beiseite; den Text – «Ihr Emigranten hattet es leicht, aber was haben
wir
durchgemacht» – kann man bereits nachlesen in den ruchlos-blauäugigen Appellen der Frank Thiess und Walter von Molo an den Emigranten Thomas Mann; wie dessen gültige Antwort. Auch von selbsternannten Jakobinern Rhetorik getauftes Geschwätz hilft nicht. Es geht nämlich nicht um «Hatz» und «Jagdreviere»; das ist Wandlitz-Vokabular. Es geht um Fragen. Ich gestehe, daß mir die Sache mit dem Pfeffer auch nicht schmeckt; dennoch: Fragen wird man doch wohl noch dürfen? Wenn unsereins Breker oder Ernst Jünger oder Furtwängler «befragte» – wieso dann nicht Willi Sitte oder Stephan Hermlin oder Ludwig Güttler?
Mußte
man vor Honecker zu dessen Geburtstag die Trompete blasen?
    Jurek Becker hat kürzlich eindringlich diese kleinen, mesquinen Gehorsamkeiten geschildert, mal mußte die Tochter Abitur machen, mal wollte der Sohn Medizin studieren. Dazu hat schon Joseph Roth einmal gesagt, ein Schriftsteller habe sein Werk vertan, wenn er dem Motto folge, «Aber meine Frau muß doch Hüte tragen»;
tout comprendre, c’est tout confondre.
    Nun heißt

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