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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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es, man dürfe nicht vergleichen. Mal abgesehen davon, daß ich mir ungerne – und von wem eigentlich? – schon wieder/immer noch per «darf nicht» etwas verbieten lasse: Dieses Verdikt stimmt nicht einmal semantisch. Vergleichen heißt nicht gleichsetzen. Natürlich darf man, muß man vergleichen – zum Beispiel, um Unterschiede deutlich zu machen. Die Brekers dekorierten eine Mörderbande, den Fabriktod von Millionen «Untermenschen», und die Riefenstahls illuminierten den Brand, in dem Europa in Asche sank. Dergleichen unterstellt niemand den Tübkes und Berghaus’, denen, die nie je einen DDR -Nationalpreis ablehnten. Es wird überhaupt nichts «unterstellt». Aber es wird festgestellt: Eine Ballade über Katyn ist da nicht geschrieben worden. Ich wüßte eben gerne, wie das ist – Jude und Kommunist zu sein und zu den antisemitischen Prozessen in Moskau oder Prag zu schweigen. Wie das ist, in einem der Privilegierten-Clubs Dienstagabend zu essen, wo man Montagabend noch mit Leo Bauer aß. Der war nun weg, in Workuta, über Nacht nicht mehr «links», sondern ein «Reaktionär». Stephan Hermlin beschweigt dieses Thema; er ist beleidigt. Ein bißchen wenig, scheint mir, eine Beleidigung gar des eigenen Werks. In einem Gespräch, in dem er 1983 von Trotzkis Tod spricht, als sei der an einer Grippe gestorben, nähert er sich der eigenen Schmerzgrenze:
    Ich werde mir persönlich nicht verzeihen, daß ich die Wahrheit – ich kann es auch jetzt nichts anders sagen – nicht wissen wollte. Das drückte sich darin aus, daß ich zu dieser Zeit gänzlich aufhörte, bestimmte Dinge zu lesen. Sagen wir mal, ich las grundsätzlich nicht die Bücher etwa von Arthur Koestler. Ich las nicht die Darstellungen von Trotzki, die er im Exil in Mexiko schrieb und die in allen großen Sprachen verbreitet wurden. Ich bezeichnete das alles von vornherein als Lüge, ohne es zur Kenntnis zu nehmen.
    Und dann biegt er sich die gefälligen Kurven zum Ausweg zurecht: «Aber so wie die Situation war, hätte ich anders handeln können nur um den Preis, aus dieser Bewegung auszutreten. Denn wenn ich nicht ausgetreten wäre, so wäre ich ausgeschlossen worden.»
    Das ist nicht «links», sondern unehrlich – im Gewande der Aufrichtigkeit. Es insinuiert, daß aufhören mußte, Antifaschist zu sein, wer «die Bewegung» verließ. Willi Münzenberg oder Manès Sperber waren dann also keine Antifaschisten mehr? Stephan Hermlin findet Zeit, auf läppischen Literatenklatsch – Brecht habe ihn «außen Marmor, innen Gips» genannt – per Leserbrief zu antworten; aber er findet nicht Zeit – vielmehr Fragen danach ungehörig –, seine Stalin-Gedichte zu erklären. Sie seien aus der Zeit des antifaschistischen Kampfes, zu der Stalin der Verbündete war. Sie sind aber aus der Nachkriegszeit. Benns Irrtümer zu benennen war also links, über Hermlins nachzudenken ist rechts? Wer verordnet diese Platitüden?
    Das Komplexe der Situation machte mir kürzlich, beim Treffen der Gruppe  47 in Schloß Dobris, ein Schriftsteller deutlich, dessen Werk sich seiner genauen Beobachtung verdankt. Als dort Walter Janka vom spanischen Freiheitskampf sprach, ohne die seinerzeit schon bekannten stalinistischen Morde an spanischen Anarchisten mit einem Wort zu erwähnen und sich – ungebrochen? unbelehrt? unreflektiert? – als «Sozialisten» bezeichnete, sagte der Lyriker: «Aber er hat sich ja selber verhaftet!»
    Die andere Platitüde heißt, es dürfe nicht über diese Zusammenhänge – und Risse – urteilen, wer nicht «dabeigewesen». Das sagen mitunter dieselben Leute, die – Rechtens – durchaus die Jahre 1933 bis 1945 beurteilt haben, ohne dabeigewesen zu sein; deren Protagonisten wollten unsereins ja tunlichst schweigen machen über ihr gehorsames Versagen, ihre mitlaufende Schuld. Gegen diese Mischung aus Feigheit und Drohgebärde haben Linke sich immer verwahrt; und nun werden diese Pflugscharen zu Schwertern umgeschmiedet? Also nur Büchner-Zeitgenossen dürfen über Büchner reflektieren, und nur wer in Wallensteins Lager hauste über den? Das Komische an diesem Pseudo-Argument wird in unserer Debatte absurd: Wir
waren
ja dabei. Der eingesperrte Jürgen Fuchs und der ausgesperrte Hans Joachim Schädlich und der Kunert und die Kirsch und, pardon, auch ich. Deswegen weigere ich mich, diesen Satz von Václav Havel unter einem Links/Rechts-Schema rubriziert zu sehen: «In dieser oder jener Weise sind hier viele schuldig

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