Stahlstiche
Müssen wir diese wie immer benannte Utopieverordnung nicht als eine zum Gaukelbild zerronnene Illusion verabschieden? Politisch ist ja der Geist Rousseaus spätestens seit seinem fanatischen Jünger, Robespierre, anrüchig. Und ästhetisch? Stimmt es denn, was (auch von mir) so oft als These variiert, zum Kanon stilisiert wurde: Es gäbe kein Kunstwerk ohne utopisches Element? Wo wäre das bei Kafka? Welches wäre es bei Flaubert? Wie sähe das aus bei Velázquez? Die Utopie bei Cioran, das wäre mal ein schönes Thema. Mir scheint das inzwischen ein Hokuspokus, auf Flaschen gezogenes Weihwasser; das Etikett trug den Namen «Sozialismus». Nur haben diese Flaschen, von Havanna bis Peking, nie Menschen nähren können, vielleicht einlullen. Schon da, wo Marx sich von der brillanten Analyse zur Verheißung verstieg, war das von erhabener Lächerlichkeit; die Trierer Eschatologie.
Es geht mir nicht um ein einzelnes Gedicht oder irgendeine Prosaarbeit; für mich waren einige Texte von Stephan Hermlin wichtig, und ich beurteile das Werk von Christa Wolf gänzlich anders als Ulrich Greiner (dessen Recht auf Kritik gleichwohl undenunziert bleiben muß); zumal ich den Paradigmenwechsel von weiland «sogenannter DDR » zu nunmehr «sogenannter Erzählung» unangemessen finde. Gerade die Arbeit von Christa Wolf ist Sonde und (Selbst-)Prüfung, ein unfragwürdiger Beitrag zur Gegenwartsliteratur. Keine Verklärung. Nirgends.
Es geht um Grundsätzlicheres. Um einen Abschied von sich selbst. Schon Arno Schmidt schrieb von den «schtändich zu berücksichtigenden Gegengewichten der beiden großen Teil-Schtaaten», die den perfidesten Terror in beiden Deutschland verhinderten.
Ehrlicherweise ist einzugestehen: Mit der linken Krücke Hoffnung ging es sich besser. Ehrlicherweise ist einzugestehen: Es war ein Blindenstock. Zu verabschieden ist ein Traum. Wer den nicht lassen will, muß ihn sich künstlich erzeugen; man macht das wohl mit Drogen – die haben verschiedene Namen. Er wächst auf zum Alptraum – der ungebremsten, unkorrigierten Warengesellschaft, die sich selber frißt: die Welt als Soft-Eis. Ein Mensch, der nicht träumt – sagt man – wird wahnsinnig. Eine Gesellschaft auch? Schön wird das Leben wohl nicht unter dem Mercedessternfirmament. Aber wo steht geschrieben, daß Leben schön sein muß? Als Tucholsky zu Ende gedacht hatte, was hier eingangs zitiert ist, brachte er sich um.
DIE ZEIT , 38 / 14 . 9 . 1990
Die zage Gabe der Liebe
Eine Erinnerung an Paul Wunderlich
«Leuchtende Liebe – lachender Tod»: Diese urdeutsche Zeile (Schlußakkord in Richard Wagners «Siegfried») stelle ich voran als Leitmotiv zu Leben und Werk des Künstlers Paul Wunderlich; Maler, Lithograph, Bildhauer. Es ist der Klang, als habe man eine Stimmgabel zum Schwingen gebracht: der sirrende Klang von Liebe und ihrem Verlust. Vom Tod schließlich.
Paul Wunderlich, geboren 1927 , gehörte bereits als ganz junger Mann zu den herausragenden Begabungen der bildenden Kunst im Nachkriegsdeutschland; man nannte ihn einen «Frühberufenen», da ihm bereits während seines Studiums an der Landeskunstschule Hamburg die Leitung der graphischen Werkstatt übertragen wurde, wo er als Drucker für Emil Nolde und Oskar Kokoschka arbeitete (übrigens seinen Kommilitonen und später ebenfalls renommierten Kollegen Horst Janssen in die Kunst der Radierung einführte; Janssen hat das Jahre später in einer bewegenden Rede bezeugt).
Doch von früh an – Liebe und Liebesentzug – war Wunderlichs Arbeit auch zweifaches Skandalon: Zu jener frühen Nachkriegszeit, da sich die deutsche Malerei in das Beliebigkeitsspiel der Abstraktion rettete, deren Balken und Kringel und Kreise ja keinen Platz boten für Fragen etwa nach Schuld und Versagen – malte und lithographierte Wunderlich figürlich. Das war nicht nur ein Vergehen gegen den artistischen Zeitgeist; es war auch geradezu trotziges Aufbegehr gegen Vergessen. Die ersten großen Ölgemälde (auf Holz) zeigten – in an Bacon erinnernder gräßlicher Verformung – die Ermordeten, Geschändeten, Gehenkten des 20 . Juli: jene Widerstandskämpfer, deren Tyrannenmord scheiterte, mit dem sie Deutschland von Hitler und dem Nationalsozialismus befreien wollten. Sie wurden hingemetzelt. Dies malerische Gedenken des jungen Wunderlich eignete sich wahrlich nicht für bedruckte Gardinenmuster oder Sammeltassen. Dieses ein Vergessenheitsgewisper – seines ein Aufschrei, ein
memento mori
.
So
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