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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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geworden. Es kann uns jedoch nicht vergeben werden, und in unseren Seelen kann nicht Frieden herrschen, solange wir unsere Schuld nicht zumindest eingestehen. Das Eingeständnis befreit. Ich weiß, wie es mich selbst einst freigemacht hat, als ich in mir selbst die Kraft fand, meinen eigenen falschen Schritt zu reflektieren.»
    Interessanterweise ist es bislang einzig und allein ein (gescheiterter) Politiker, der in der DDR auf die Frage, ob er das Gefühl von Mitschuld habe, «Ja» gesagt hat, «das tut man». Hans Modrow erklärt: «Warum habe ich da so lange mitgemacht? Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Vor allem seitdem ich Zeit für diese Fragen habe. Warum habe ich nicht alles hingeschmissen, bin ausgestiegen? Ich habe ja gesehen, zumindest die letzten zehn Jahre, was alles schiefläuft. Es wäre zu billig zu sagen, ich hab’ vom Stasi und alldem nichts gewußt, wo doch dieser Staat zum Schluß nur noch so funktionieren hat können. Warum habe ich so lange mitgemacht? War ich zu feige zum Aussteigen?»
    Im August-Heft der Zeitschrift «neue deutsche literatur» versucht der oft widerborstige Erwin Strittmatter, die eigene Position zu klären, er wird befragt: «‹Ohne die DDR wäre ich nicht, was ich bin, wüßte ich nicht, was ich weiß, könnte ich meine künftigen Bücher nicht schreiben.› Das hat Erwin Strittmatter am Anfang des Weges gesagt. Und Brecht hat es so formuliert: ‹Ohne die DDR wäre er nicht nur nicht der Schriftsteller geworden, der er ist, sondern vermutlich überhaupt kein Schriftsteller.›» Er antwortet darauf:
    Ich halte es nicht für eine Schande, wenn man seine Ansichten im Laufe des Lebens ändert. Aus dem Gegenteil sind Konservative und Dogmatiker gemacht. Der genannte Satz, den ich
am Anfang meines Weges
äußerte, ist ein arg parteilicher Satz. Mit der Parteilichkeit geht es bei mir seit etwa zwanzig Jahren bergab. Man kann’s oder wird’s in meinen Tagebüchern nachlesen. Jener Teil meines damaligen Ausspruchs,
ohne die
DDR wüßte ich nicht, was ich weiß
 …, stimmt schon deshalb nicht, weil in der DDR Werke vieler Philosophen, auch Werke von Schriftstellern, die Geltung in der Welt haben, auf dem Index standen. Man mußte sie sich illegal beschaffen.
    Nun erscheinen
Post-festum-
Rechtfertigungen etwa des unheilvollen Ministers Höpcke, der ihm 1977 apparat-anonym zurückgewiesene Texte bejammerlappt: «So der Bescheid, den ich erhielt … Der Vorschlag wurde abgelehnt.» Noch immer weiß er, Juni 1990 , nicht die Unterdrücker zu benennen. Respekt.
    Nun erscheinen weinerliche Gedichte von Johannes R. Becher oder apokryphe Texte von Georg Lukács, die sie zu Lebzeiten nicht zu veröffentlichen wagten – die Rettung ins Posthume. Respekt. Die
Maîtres penseurs
sind nackt.
    Mich interessiert aber eine «Schuldfrage» gar nicht so sehr. Ich bin da nicht meiner Meinung; habe nichts ein- noch anzuklagen. Lauterkeit hat kein Zahlungsziel. Aufregend aber finde ich den – eigenen? – Trotz, mit dem eine Utopie bewahrt werden soll. Von Willi Sitte – der, guter Sozialist, allerdings weiß, «die Straße hätte nicht das letzte Wort haben dürfen» – bis Hermann Kant und dem von ihm einst reglementierten Stefan Heym: Die «eigentliche» Utopie Sozialismus wollen sie erhalten wissen. Wenige, wie Hans Joachim Schädlich, sind da rigoroser; so hätte wohl auch der «linke» Uwe Johnson formulieren können:
    Die offenen und ehrlichen literarischen Vertreter der Macht schrieben stets nach Dienstvorschrift. Andere, die es eigentlich anders wollten, erlagen dem Denk- und Sprachmonopol und wurden zu bloßen Konformisten. Vielleicht sagten sie hinter der Hand: ‹Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut› (ein Satz von Karl Valentin). Wieder andere, die
es
auch anders wollten, beharrten versteckt oder offener auf der Selbstbestimmung der Literatur. Einige lauschen noch immer – manchmal traurig, manchmal trotzig – dem Geist der Utopie nach, der sich längst in ein Gespenst verwandelt hat.
    Hat er nicht recht? Eine Utopie, deren Handlanger auf Befehl mordeten, deren Repräsentanten ein Land auf Feudal-Manier auslaugten, deren Herrscher für ein paar mäßig gekachelte Badezimmer den ökologischen Ruin ganzer Landstriche «in Kauf nahmen»? Wieviel Gläubigkeit nach der Musik «Die Sache ist gut, nur ihre Priester erbärmlich» verlangt man beziehungsweise bietet man an? Diesen Glauben aufzukündigen – das wäre «rechts»?

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