Stahlstiche
sie «Ecce Homo». Das war keine Botschaft, das war ein Befund. Nicht unabsichtlich erinnert der Titel dieser Phallus-Folge an die umstrittene Mappe «Ecce Homo» des George Grosz; auch er einer, dessen schmerzbohrendes Erbarmen mit der gemarterten Kreatur mehr Schock als Bewunderung – bei hohen Preisen – auslöste. Solche Blätter wollen nicht Barmen, sie verlangen nach Erbarmen.
So wurde zeitlebens auch vielen von Wunderlichs Gesten die Liebe – wenn Liebe Verstehen heißt – ausgemolken. Als eine deutsche Journalistin mit ungehörigen Worten über mich herfiel, schickte der Freund dieser Denunziantin ohne Worte ein zerrissenes Blatt seiner wunderschönen Orchideen-Suite; es meinte «den Undank, Dame, begehr ich nicht». Die stumpf Deutsche sagte «Schade»; sie hatte die Vernichtung von etwas Wertvollem begriffen – die stumme Rüge ihres eigenen Unwerts nicht.
Paul Wunderlich war nämlich ein Herr, nicht nur ein Meister vor der Leinwand oder am Litho-Stein, sondern auch ein Mensch von Herzenstakt, leise, unaufdringlich und stets jene Entfernung achtend, die der Liebe eigen ist. Mit meiner ersten ausführlichen Würdigung der Arbeit des «Nobel-Mannes aus Hamburg» – für eine umfangreiche französische Publikation – tat ich mich schwer. Voller Zögern schickte ich ihm vor Drucklegung das Manuskript. Schweigen. Meine Sorge, ihm vielleicht zu nahe gekommen zu sein, wuchs von Tag zu Tag. Es war selten, daß wir zueinander schwiegen; zumal er zu einigen meiner Bücher die Schutzumschläge entworfen, zu meiner Marx-Biographie eine Bronze angefertigt hatte, seinen Abscheu vor dem marxistischen Un-Wort «Kunst als Waffe» formalisierend.
Nach etwa zwei Wochen rief er mich an. «Ich muß Ihnen morgen nachmittag etwas vorbeibringen, diskret.» Wie es bei Männerfreunden gelegentlich vorkommt, wähnte ich etwas Intimes, etwas, das er mir vielleicht «neben seiner Ehe» anvertrauen, bei mir disponieren wollte. «Ich komme um 15 Uhr mit dem Taxi» – da besaß er bereits drei Rolls-Royce – «bitte kommen Sie an die Haustür, ich kann mir nicht leisten, das Taxi warten zu lassen.» Ohne eine Silbe drückte er mir eine Kaufhaus-Plastiktüte in die Hand und fuhr wieder davon. Die Tüte enthielt eines seiner bis ins Unheimliche manieriert gesteigerten Bas-Reliefs, von dem es in der «Bronze d’Orée»-Version nur zwei Exemplare gibt. An dem Objekt klebte ein kleiner Zettel: «Danke.» Liebe im Sprechverbot. Die Kultur des Paul Wunderlich hatte Engelsflügel.
Das gesamte Werk zeigt diese dialektische Spannung aus Hingabe und Zurückhaltung, aus Zeichen und Bedeutung. Es sind jene Engelsflügel der Huldigung, die er Frauen – seiner Frau Karin zuvörderst – entgegenbrachte: verfallen einer Verheißung zum Glück, das noch selbigen Moments, auf demselben Bild zerrinnt aus den Himmeln der Utopie in die Niederung der Illusion. Die ganze grandiose Folge seiner Litho-Paraphrasen zum «Hohelied Salomos» gibt Zeugnis davon so gut wie fast jede seiner Skulpturen, «beflügelt» zumeist. Wenn ich vom Krakenfinger sprach, das große Hoffen gekrümmt als Menetekel von Drohen und Vernichten – dann muß angefügt werden: Beseligung ist in den Bildchiffren von Wunderlich ausnahmslos auch Kreuzigung. Eines seiner Meisterwerke – es existieren mehrere Varianten des Ölbilds und Lithographien dazu – ist seine «irdische» Antwort auf Philipp Otto Runges «Aurora – der Morgen», jene romantische, gar himmlische Verklärung aus dem unvollendet gebliebenen Zyklus von den vier Tageszeiten. Bis ins Detail von Farbgebung, Linienführung und der auf den ersten Blick kaum wahrnehmbaren nicht-axialen (also aus der Glücksbalance gefallenen) Anordnung seiner Malerei: Wunderlichs Antwort ist der ins Dunkel abgeglittene Licht-Widerspruch zu Runges romantischer Strahlkraft. Ein einziges malerisches «Weh uns», bei dem der Betrachter von atemlosem Entsetzen ergriffen wird. Dabei ist Wunderlich weder Philosoph noch Theologe, kein Prediger, kein Künder des Unheils hienieden. Wie Schriftsteller Wortsetzer sind und Komponisten Tonsetzer, so ist dieser hier ein Farbsetzer. Nie und nirgends argumentiert er; aber er verführt: Unsere Augen zwingt er zur Erkenntnis, er läßt uns mit ihnen Dinge streicheln, die des Streichelns nur allzuoft nicht wert sind.
Das ist eine artistische Volte, die Wunderlichs Arbeit viel Unverständnis einbrachte. Denn schwer ist es ja zu verstehen, daß Schönes giftig sein kann, die perfekt
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