Stahlstiche
inzwischen wohlhabende Rolls-Royce-Fahrer 1981 erworben hatte, sich Verehrer aus Südafrika, San Francisco und Antwerpen in einem leicht skurrilen Konkurrenzgalopp zu überbieten suchten. «Ach, diese Litho-Folge haben Sie? Ich habe die große Bronze-Skulptur X – doch der Herr hier sagt ja, er habe sechs große Ölbilder der Frühjahre.» Das war recht hübsch, paßte ja auch zu einer
garden-party
in dem weitläufigen Park, der surreal-unheimlich wirkte durch die riesigen Bronze-Vögel, Springbrunnen, deren Fontänen aus Aluminium-Fischmäulern plätscherten, und Figuren-Ensembles, die so wirkten, als rafften die überdimensionalen Damen gleich ihre steinernen Röcke und bäten zum Tanz. Und mittendrin
Monsieur Paul
, der Malerfürst, mit Strohhut, selbstentworfenem Schmuck im Revers und dem unvermeidlichen Cigarillo unterm nikotinverfärbten Schnäuzer. Es war köstlich.
Kostbar aber das ganz Andere, Einmalige. Jener Schleier verlorener Liebe, der ihn umwehte: Resignation in Grazie, Schopenhauer-Skepsis im Gewande der Selbstironie, jenes «eitel» immer auch als «vergebens» begreifend. Er war ein soignierter Herr, und er war ein zweifelvoller Mensch.
Skrupulöser Künstler allemal. Das war unser Magnetismus. Nicht nur die nicht enden wollenden Abende, spielerisch versunken in Gesprächen über Verlaine oder Whitman, die Kunst der Lithographie (bis zu seinem Ende hat er jedes einzelne Blatt eigenhändig auf den Stein gezeichnet; es gab keine «Fremdproduktion»), während der er sich belustigte: «Ha, viel Spaß dann in Salzburg – Sie hören da ja wohl viel Mozart, ich bleibe bei Ella Fitzgerald.» All dies jedoch verhalten, verhaltend noch im Bereich des verehrenden Feuilletons. Ins Zentrum von Wunderlichs einsamer Kunst-Zeremonie stößt es nicht vor. Daher ein paar ganz konkrete Beispiele seines hirnlich verankerten Handwerks.
Als er, es war wohl in den 1970 er Jahren, sich mit James Joyce beschäftigte, und zwar mit dem noch in Venedig lebenden, sich Giacomo Joyce nennenden Iren, las er ein Poem des späteren «Ulysses»-Genies. Darin ging die Rede von einer «schönen Jüdin», deren hochhackige Schuhe über das Pflaster von Plätzen und Brücken klackerten. Wunderlich las es mir vor, er wollte Zeichnungen dazu machen, und ich spürte seine Ratlosigkeit. Dann sagte er: «Aber meine Hand denkt bei ‹schöne Jüdin› etwas anderes, unsereins kann so etwas nicht mehr unbefangen formulieren.» Debatten, Fotobände, historisches Material, Entwürfe. Dann kam er mit mehreren Zeichnungen, einer Lithographie, später einer 40 Zentimeter hohen Bronze: ein zierlicher Schuh mit sehr hohem spitzen Absatz. Die Ferse war ein Totenkopf. Er hatte den Schuh gestaltet, mit dem die «schöne Jüdin», klack-klack ins Verderben gegangen ist. Es ist eine der monströsesten, verrätseltsten Arbeiten des Paul Wunderlich, grauslich schön. Die Bronze steht heute in meiner Bibliothek, dort, wo die Bücher der Emigranten eingeordnet sind, derer, die knapp dem Gas entronnen sind. Die meisten deutschen Betrachter mögen den Schuh nicht, sie wollen oder können ihn nicht «lesen».
So ist Wunderlich ein Heinrich Heine der bildenden Kunst. Auch diesen liebten sie nur widerwillig, sie höhnten ihn als zu elegant, sie ver-possierlichten ihn, wenn er von Tränen sprach, und weil sie so glattgekämmte Gedanken hatten, die Hände an der Hosennaht, fanden sie sein Denken kraus und sein Schlendern einen Schlendrian:
Du liebst mich nicht, du liebst mich nicht,
Das kümmert mich gar wenig
…
Doch wenn du sprichst «Ich liebe dich!»
So muß ich weinen bitterlich.
Das war dem deutschen Gemüt, das
Herz
auf
Schmerz
reimte, fremd; es war frivol. So galt Wunderlichs in tausend Paraphrasen des Unheimlichen zelebrierte Sexualitätsfiguration ebenfalls als frivol. «Der Schocker kommt mir nicht ins Haus», herrschte ein reicher Industrieller seine Frau an, als sie eines der bedeutenden Ölbilder – probeweise – angeschafft hatte, das den Krakenfinger der Lockung zum Galgen der Vernichtung gekrümmt zeigte.
Wunderlich aber sah Lust und Last nahe beieinander. Fraglos kannte er die französische Formulierung
La petite mort
für den männlichen Orgasmus. Als ich einen größeren Essay «Berührungsverbot» über die gläserne Ferne geschrieben hatte, die letztlich die Pseudonähe zeitgenössischer «Geh’n wir zu dir oder zu mir»-Instant-Intimität bestimmt, entwarf er, davon angeregt, eine (zugegeben etwas krude) Serie und nannte
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